1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
Felicitas kannte mich als gutsituierte Ehefrau und Mutter, die sich in der Pfarrei für die Kommunionkinder engagierte. Als die Firmeninsolvenzen über uns hereinbrachen, zog ich mich für einige Monate aus dem Gemeindeleben zurück. Zu viele Dinge, die geregelt werden mussten. Dann kam die Räumungsklage. Die Villa sollte zwangsversteigert werden. Es folgte die Aufforderung der zuständigen »Fachstelle für Wohnungslose und Wohnraumsicherung«, mich bei ihnen zu melden, damit mir mit den Kindern eine Bleibe zugewiesen werden könne. Ich wusste nicht mehr, wo mir der Kopf stand.
Schwester Felicitas, Mitte fünfzig, eine gestandene Ordensfrau in Zivil, nahm mich eines Tages nach dem Gottesdienst beiseite und fragte mich im Pfarrsekretariat, was mit mir los sei. Das Gespräch dauerte etwas länger, sie nickte ernst und verzog weiter keine Miene. Ich erzählte vom abgestellten Gas, von der bevorstehenden Zwangsversteigerung, von den letzten Cents, die wir zusammenkratzten, von meinem Gefühl, vor einem Abgrund zu stehen. Schwester Felicitas blieb sehr ruhig, wir schauten beide für eine Weile schweigend aus dem Fenster, draußen im Pfarrgarten spielten die Kinder Fangen, Frieda juchzte auf der Schaukel, und Millie pflückte die reifen Brombeeren von den Sträuchern, eine Art Ersatzhandlung der Jüngsten für das Vernaschen von Süßigkeiten, die nun ebenfalls nicht mehr auf unserem Einkaufszettel zu finden waren. Ich heulte was das Zeug hielt, Schwester Felicitas tätschelte meine Hand.
Als Gemeindeschwester sieht man sicherlich viel Leid, ich war nun eins von etlichen Schäfchen, das es zwar zu trösten galt, aber das seinen Weg schon machen würde. So dachte ich.
Zwei Tage später bekam ich an einem sonnigen Tag einen Anruf. »Frau van La-haak«, raunte die Stimme ins Telefon, »ich hab hier was für Sie. Bringen Sie eine unauffällige, große Tasche mit, vielleicht eine Sporttasche, und kommen Sie schnell ins Gemeindezentrum.« Die verschwörerische Stimme von Schwester Felicitas machte aus mir ein fügsames Lämmchen. In der Tür des Gemeindezentrums stand sie da, die Hände in die Hüften gestemmt, und winkte mich mit ihren großen Händen hinein. Mir fiel auf, dass ihre kurzgeschnittenen, silbergrauen Haare perfekt zu ihrem türkisfarbenen Rock passten. Die weiße Bluse war mit einem grünlichen Faden durchwirkt – von ihrem Outfit konnte sich manche Kirchenchor-Sängerin eine dicke Scheibe abschneiden. (Schwester Felicitas war damals eine der ersten Ordensschwestern gewesen, die im Alltag den Habit abgelegt hatten, als dieser nur noch für gottesdienstliche Anlässe zwingend vorgeschrieben war.)
»Schnell, schnell, gleich ist Senioren-Kaffeekranz, bis dahin müssen wir fertig sein.« Sie ging eilig voran zur großen Küche, riss die zwei riesigen Kühlschränke auf und schaute mich an, ihre kräftigen Augenbrauen hochgezogen zu zwei silbernen Triumphbogen. Die Schränke waren bis oben hin voll mit Lebensmitteln. Käse, Wurst, Brote, Gemüse, Obst, sogar einige Packungen Schokoküsse waren dabei. »Alles vom Kirchentag übrig geblieben. Unsere Gästegruppe aus Bayern ist vor zwei Stunden abgereist. Das Ganze soll eigentlich laut Beschluss des Vorstands auf unsere Kitas und Schulküchen verteilt werden – aber noch weiß ja keiner davon, dass so viel übrig ist«, erklärte sie listig. »Na, was ist, rin in die Tasche damit! Da können Sie doch ne Weile von futtern!« Ich war perplex. Dies war die erste wirklich lebenspraktische Lösung, die ich in meiner absurden Zwangslage angeboten bekam.
Gemeinsam stopften wir die Lebensmittel in die Tasche, die sich schnell als viel zu klein erwies. Schwester Felicitas warf immer wieder einen nervösen Blick Richtung Eingangstür, einmal schlurfte eine ältere Frau vorbei, und Schwester Felicitas verfiel mir gegenüber in einen geschäftigen Ton: »Dann bringen Sie das hier zur Kita Waldkinder, dieses Obst hier geht an das Seniorenwohnheim und … ist sie weg?!«
Der erste Kühlschrank war bereits leer geräumt. Jetzt musste eine zweite Tasche her. Schwester Felicitas riss alle Schränke auf, wühlte sich durch Müllbeutel und Plastiktüten, knallte mit dem Fuß die eine Schranktür zu, um simultan bereits die nächste aufzureißen und halb darin zu verschwinden.
»Hm. Warten Sie mal. Ich hab da eine Idee-he. Sie bleiben hier und passen auf.« Sie verschwand in einem der dunklen Gänge des Gemeindezentrums, dabei machte sie kein Licht. Von meinem Horchposten aus
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