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10 - Der Ölprinz

10 - Der Ölprinz

Titel: 10 - Der Ölprinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Ausdruck ‚sonderbare Gestalt‘, dessen er sich bediente, war sehr zutreffend und sagte eher zu wenig als zu viel. Indem sie langsam nähergeritten kam, machte sie in kurzen, fast genau abgemessenen Zeiträumen die regelmäßigsten Pendelbewegungen auf dem Pferd, jetzt mit den Beinen weit nach hinten und den Kopf vornüber gesunken, dann rasch mit demselben nach hinten und mit den Beinen nach vorn. Der Körper war in einen langen, weiten Regenmantel und der Kopf in ein großes Wiener Saloppentuch gehüllt, dessen Zipfel bis auf den Rücken des Pferdes herunterfiel. An den Füßen trug die Figur Zugstiefeletten; über die eine Schulter hing eine Flinte, und unter dem grauen Mantel schien ein Säbel zu stecken. Das Gesicht, welches aus dem Tuch hervorblickte, war bartlos, voll und rot, so daß man, besonders bei dieser Art sich zu kleiden, jetzt wirklich nicht zu sagen vermochte, ob ein Maskulinum oder Femininum da auf dem langsamen, hageren Klepper saß. Und das Alter des rätselhaften Wesens? War diese Frau ein männlicher Mensch, so mochte er fünfunddreißig Jahre zählen; war dieser Mann aber eine Dame, so stand sie sicher im Anfang der Vierzig. Jetzt war sie bei den Tischen angekommen, hielt das Pferd an und grüßte in hohem Kopf- und Fistelton: „Guten Tag, meine Herren! Haben Sie vielleicht vier Ochsenwagen gesehen?“
    Alles bisher Gehörte war natürlich englisch gesprochen worden; dieser Damenherr oder diese Herrendame aber bediente sich der deutschen Sprache, deren die Gefragten nicht mächtig waren, weshalb auch keine Antwort erfolgte. Als die Frage in der Tonlage des eingestrichenen d wiederholt wurde, stand Sam Hawkens auf, trat zu dem Pferd hin und antwortete deutsch: „Sprechen Sie nicht englisch?“
    „Nein, nur deutsch.“
    „Darf ich erfahren, wer Sie sind?“
    Da bekam er eine kleine Terz höher, also im eingestrichenen F, zu hören: „Ich bin der Herr Kantor emeritus Matthäus Aurelius Hampel aus Klotzsche bei Dresden.“
    „Klotzsche bei Dresden? Was der Teufel, da sind Sie wohl ein Sachse?“
    „Ja, ein geborener, jetzt aber emeritiert.“
    „Und ich auch, obgleich ich mich schon so lange in Amerika befinde, daß ich beinahe vergessen habe, woher ich bin. Sie gehören wohl zu den vier Wagen, Herr Kantor?“
    „Ja. Ich bitte aber sehr, recht vollständig zu sein; sagen Sie also lieber, Herr Kantor emeritus! Dannweiß gleich jedermann, daß ich den Orgel- und Kirchendienst quittiert habe, um meine sämtlichen Befähigungen nun ganz allein der harmonischen Göttin der Musik zu widmen.“
    Die Äuglein Sams leuchteten lustig auf, doch meinte er in ernstem Ton: „Gut, Herr Kantor emeritus, Ihre Wagen sind längst vorüberpassiert und werden, wie ich vermute, draußen vor dem Dorf angehalten haben.“
    „Wieviel Takte habe ich da noch weiterzureiten?“
    „Takte?“
    „Hm – hm – Schritte wollte ich wohl sagen.“
    „Das weiß ich ebensowenig, weil ich mich gleichfalls zum erstenmal hier befinde. Erlauben Sie, daß ich Sie führe?“
    „Sehr gern, mein werter Herr. Ich bin die Melodie, und Sie machen die Begleitung. Wenn wir unterwegs keine langen Viertelpausen und Fermaten machen, werden wir wohl mit dem Fine bei den Wagen angekommen sein.“
    Sam warf seine Liddy über die Schulter, pfiff seiner Mary, welche ihm wie ein folgsamer Hund folgte, nahm das Pferd des seltsamen Emeritus bei dem Zügel und schritt der Richtung nach, welche die Wagen eingehalten hatten. Da erklang die hohe Fistelstimme vom Klepper herab: „Sie wissen nun, wie ich heiße und wer und was ich bin; darf ich auch Ihren Namen erfahren?“
    „Später.“
    „Warum nicht jetzt?“
    „Weil sich Leute hier befinden, die ihn nicht wissen dürfen; ich werde Ihnen das später erklären.“
    „Warum erst später? So eine Ungewißheit ist mir so ziemlich wie eine unaufgelöste Septime oder None. Haben Sie also die Gewogenheit, diesen Dominantseptakkord von A gefälligst nach D-Dur oder doch wenigstens nach b-Moll herüberzuleiten!“
    „Das wäre eine Unvorsichtigkeit, welche nicht nur mich, sondern auch Sie in Schaden bringen kann. Sie befinden sich in Gefahr, Herr Kantor!“
    „Bitte, bitte, Kantor emeritus! In Gefahr? Das geht mich nichts an. Für Musensöhne gibt es nur die eine Gefahr, daß ihre Schöpfungen nicht anerkannt werden; ich kann aber hier weder applaudiert noch deploriert werden, weil niemand meine Kompositionen kennt, welche übrigens nur erst in meinem Kopf, aber noch nicht in Partitur

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