10 - Der Ölprinz
unter den Armen hindurchgeschlungen und dann an den Sattel befestigt worden. Es läßt sich leicht denken, wie er empfangen wurde. Er starrte finster vor sich nieder und beantwortete kein an ihn gerichtetes Wort. Ebenso schweigsam verhielt sich Schi-So zu dem Lob, welches ihm von allen Seiten gebracht wurde. Er ging ganz still davon, konnte es aber doch nicht verhindern, daß Frau Rosalie ihn sehr fest beim Arm ergriff und fragte: „Herr Schi-So, haben Se vielleicht eenmal die Geschichte von der verzauberten Prinzessin gelesen?“
„Welche?“ antwortete er. „Es gibt sehr viele Geschichten, welche diesen Titel haben.“
„Ich meene nämlich diejenige Prinzessin, die in eenen Kirchturmknopf hineingezaubert war.“
„Die kenne ich nicht.“
„Der Kirchturm war hundertundelf Ellen hoch; darum mußte derjenige, der die Prinzessin erlösen wollte, hundertundelf Heldentaten verrichten, uff jede Elle eene. Viele tausend Jahre hat das arme Wurm im Knopf geschteckt, ohne daß es jemand nur bis zur dritten oder vierten Heldentat gebracht hat, bis endlich een junger Rittersmann aus Schleswig-Holschteen kam und alle hundertundelf Heldentaten, eene nach der andern, mit dem Schwert um das Leben brachte. Da schprang der Kirchturmknopf uff und entzwee und die erlöste Prinzessin trat holdselig heraus, reichte dem Erretter die rechte Hand und führte ihn hinunter in die Sankristei.“
„So!“ lächelte Schi-So. „Und die Nutzanwendung dieser ebenso schönen wie rührenden Geschichte?“
„Nutzanwendung? Was meenen Sie damit? Was soll das heeßen? Wenden Se den Nutzen wenigstens nich zu Ihrem Schaden an! Ich habe Ihnen von diesem Turmknopf erzählt, weil ich sehe, daß Sie ooch so een tapferer Schleswig-Holsteener sind. Gibt es bei den Indianern ooch verzauberte Prinzessinnen?“
„Nein.“
„Jammerschade! Ich gloob, Sie brächten's ooch bis hundertundelf. Rechnen Sie uff meine Hochachtung und uff meine Dankbarkeet!“
Sie wollte noch weiter sprechen, wurde aber von jemand fortgeschoben, der sich zwischen sie und ihn drängte. Es war der Kantor, welcher, seine Hand ergreifend, sagte: „Teurer Freund und junger Mann, Sie wissen, daß ich ihm Begriff stehe, eine große Heldenoper zu komponieren?“
„Ja; Sie haben uns das oft und wiederholt gesagt.“
„Und daß diese Oper zwölf Akte haben wird?“
„Ich glaube allerdings, daß es zwölf waren, von denen Sie sprachen.“
„Schön! In welchem Akt wollen Sie erscheinen?“
„Warum ich?“
„Weil Sie ein Held sind, wie ich ihn für meine Komposition brauche. Sie werden auftreten, indem Sie den Verräter zu Pferd am Lasso über die Bühne schleppen. Also bitte, in welchem Akt?“
Über das sonst so ernste Gesicht des Mestizen glitt ein fröhliches Lächeln, als er antwortete: „Sagen wir im neunten.“
„Schön! Und wollen Sie ihn in Dur oder in Moll über die Bühne schleppen?“
„In Moll.“
„Gut; da werde ich c-Moll wählen, denn dies hat den Dominantsexakkord von G und ist im ersten Grade mit dem herrlichen Es-Dur verwandt. Und als Taktart wählen wir nicht Dreiviertel- oder Sechsachtel-, sondern den Viervierteltakt, weil das Pferd, auf welchem Sie auf der Bühne erscheinen werden, gerade vier Beine hat. Sie sehen, daß alles stimmen wird. Ich werde mir das alles gleich notieren.“
Er zog ein Merkbuch aus der Tasche. Da erklang hinter ihm eine Stimme. „Ich habe Ihnen auch etwas zu notieren, Herr Kantor.“
Er drehte sich um und sah Sam vor sich stehen. In höflichem Ton antwortete er: „Bitte, bitte, Kantor emeritus! Es ist nur der Vollständigkeit halber. Da ich nicht mehr im Amt bin –“
„So treiben Sie sich da draußen vor dem Lager herum!“ unterbrach ihn Sam. „Wer hat Ihnen denn geheißen, das Lager zu verlassen?“
„Geheißen? Die Kunstbegeisterung trieb mich hinaus, erst lento, dann vivace und endlich gar allegrissimo . Sie wissen, wenn die Muse befiehlt, muß ihr Jünger gehorchen.“
„Da bitte ich Sie, Ihrer Muse den Abschied zu geben, denn sie meint es nichts weniger als gut mit Ihnen.“
„Wieso?“
„Weil sie Sie auf Wege treibt, wo Sie leicht verunglücken können.“
„Daß ich nicht wüßte, werter Herr. Ich brauchte für meine Oper einen Doppeltriller; da ich denselben nicht hier im Lager finden konnte, so verließ ich dasselbe, um mir draußen in der Einsamkeit, wo mich niemand stört, einen auszusinnen.“
„Da setzten Sie sich auf die Erde nieder?“
„Ja.“
„Und warteten, ob der Triller
Weitere Kostenlose Bücher