10 - Im Bann der Loge
vollen Mondes zu sich. Schon einmal haben wir uns gegen einen gemeinsamen Feind gestemmt. Und wir müssen es erneut tun. Es geht um nichts Geringeres als die Gnade der Götter für alle Maya!«
***
Tom Ericson starrte auf das ausdrucksstarke Gesicht des Mannes auf dem Monitor und ließ nachdenklich die blutrote Flüssigkeit in dem Weinglas kreisen. Er hat also doch nicht gelogen. Er ist wirklich bei Interpol.
Zum mindestens zwanzigsten Mal sah er über den Bildschirm hinweg zum Eingang des Internet-Cafés. Zwar hatte er sich und Maria Luisa im MILLENNIO unter falschem Namen eingemietet und den Fiat auf dem hoteleigenen Parkplatz abgestellt, der von der Straße aus nur schwer einsehbar war, dennoch konnte er die Befürchtung nicht abschütteln, dass die Loge sie auch hier aufspürte.
Wenn sie überhaupt noch nach ihnen suchte, jetzt, wo der Mann in Weiß hatte, was er wollte. Erst wenn morgen oder übermorgen immer noch kein Indio aufgetaucht war, würde sich Tom langsam entspannen.
Er nahm einen Schluck Wein und ließ ihn genüsslich die Kehle hinabsickern. Nachdem Maria Luisa eingeschlafen war, hatte er ihr eine Notiz hinterlassen und dem Internet-Café gegenüber einen Besuch abgestattet. Dessen Sauberkeit, die gemütlich gepolsterten Sessel, die glänzenden Tische und blitzblank geputzten Fenster, reichlich Bepflanzung und der frische Geruch – all das stand im krassen Gegensatz zur Verkommenheit des Asselbunkers auf der anderen Straßenseite.
Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er von seiner gebuchten einstündigen Onlinezeit schon fünfzehn Minuten damit vergeudet hatte, dauernd zur Tür zu glotzen.
Also weiter!
Zunächst hatte er den Namen Spencer McDevonshire gegoogelt und tatsächlich nur elf Sucherergebnisse erhalten. Sieben davon belanglose Artikel, vier jedoch erwiesen sich als Volltreffer.
Sie alle bezogen sich auf die internationale Jagd nach einem Serienkiller, der vor Jahren eine blutige Spur durch fünf Länder gezogen hatte. McDevonshire hatte sich als leitender Ermittler und Organisator der Einsätze nationaler Polizeibehörden mehrfach der Presse stellen müssen, weshalb sein Konterfei verschiedene Zeitungsartikel zierte. Auf jedem einzelnen Bild war ihm anzusehen, dass er es verabscheute, wenn man ihn in die Öffentlichkeit zerrte.
Vor zehn Jahren schließlich hatte er den Täter dingfest gemacht. Und zwar mit Hilfe einer Reihe sorgfältig geplanter und aufeinander abgestimmter, beinahe schon choreographierter Einsätze unterschiedlichster Polizeitruppen.
Tom schüttelte den Kopf. Und dieser Mann machte plötzlich einen auf einsamer Wolf? Dafür musste es einen triftigen Grund geben.
Du kannst ihn ja fragen, wenn du ihn das nächste Mal triffst. Wozu es aber hoffentlich nie kommt! Und jetzt kümmere dich lieber um Wichtigeres.
Richtig! Die Aufzeichnungen von Diego de Landa, die Abby aus Ts’onots Grab mitgebracht hatte. Wie die Kladde von Francisco Hernández de Córdoba und die in deren Umschlag versteckten Papyri des Kaziken waren auch diese in Altkastilisch verfasst. Leider hatte Tom auf der Flucht vor der Loge die Wörterbücher zurücklassen müssen.
Wie hätte er auch ahnen können, dass seine Ex-Frau ihm aus der Grabhöhle mehr als nur den Armreif mitbrachte? Bisher hatte er mangels Fachbücher und Zeit noch keine Gelegenheit gefunden, die neuen Dokumente zu übersetzen. Ein Versäumnis, das er schnellstmöglich nachzuholen gedachte.
Im Internet suchte er nach Buchhandlungen in Rieti und Umgebung. Als er eine stattliche Liste zusammengetragen hatte, stöpselte er das Headset ein, das er sich am Tresen zur Onlinezeit dazugebucht hatte, und klapperte mittels Internettelefonie jeden einzelnen Laden ab.
Die Gespräche liefen stets gleich ab. Er nannte die Titel der beiden Wörterbücher, die er für die Übersetzung dringend benötigte, und erhielt jedes Mal eine ähnliche Antwort:
Tut mir leid, diese Bücher haben wir nicht vorrätig. Wir können sie Ihnen aber gerne bestellen. Wegen der Weihnachtsferien müssen Sie allerdings mit einer Lieferzeit von mindestens einer Woche rechnen.
Schweren Herzens dehnte Tom die Suche bis nach Rom aus, doch auch hier fand er keine Buchhandlung, die ihm zeitnah weiterhelfen konnte.
Verdammt!
Er lehnte sich zurück, riskierte einen obligatorischen Blick zum Eingang und seufzte.
Zwei Tische neben sich hörte er das Kichern eines jungen Pärchens. Sie blätterten in einer Reihe von Büchern, tippten wild auf der Tastatur herum,
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