10 - Im Bann der Loge
Schiff schmuggeln und es nur kurz danach unter Hinterlassung einiger Leichen wieder verlassen sollen? Weil man ihn entdeckt hatte? Aber wie sollte ein einzelner Mann … na schön, ein Mann, eine Hotelierstochter und ein Autist, wie sollten sie die Macht für eine derartige Zerstörung besitzen?
Außerdem gingen ihm diese Indios nicht mehr aus dem Kopf, allen voran der Glatzkopf mit den fehlenden Ohrläppchen. Waren tatsächlich sie die Bösen und Ericson nur ihr Opfer, wie er behauptet hatte?
Schon bevor er sich erstmalig einen persönlichen Eindruck von dem Archäologen hatte machen können, hatte sein Instinkt ihm verraten, dass etwas faul an der Sache war. Nun war er sich sicher.
Hätte der skrupellose Mörder Tom Ericson ihn in Tivoli einfach gehen lassen? Hätte er sich dafür entschuldigt, den Gegner überwältigt zu haben? War die Verzweiflung von Maria Luisa Suárez vollständig gespielt gewesen?
»Nun, Commissioner«, riss Jorgensen ihn aus den Gedanken. »Ich habe endgültig genug von ihrem Altersstarrsinn.«
»Hören Sie mir bitte zu. Ich weiß, wie wir Ericson …«
»Nein! Sie hören mir zu. Ich habe alles in die Wege geleitet, um Sie in den Genuss eines frühzeitigen Ruhestands kommen zu lassen.«
Der Satz traf McDevonshire wie ein Tritt. Die Knie wurden ihm weich, aber er verbot es sich, auf einen der Besucherstühle zu sinken oder sich auch nur an dessen Lehne festzuhalten. Diese Genugtuung würde er Jorgensen nicht gönnen.
»Sehen Sie es positiv«, fuhr der Sektionsleiter im Plauderton fort. »Endlich können Sie tun, was Ihnen Spaß macht. Und damit Sie nicht darauf warten müssen, bis Ihre Entlassungspapiere eintreffen, dürfen Sie sich die Tage bis dahin frei nehmen.«
»Aber …«
»Kein Aber, Commissioner. Es war das letzte Mal, dass Sie aus meinem Mund diese Anrede gehört haben. Sie sind hiermit suspendiert. Geben Sie unverzüglich Marke und Dienstausweis ab. Nach Ihrer Dienstwaffe brauche ich ja nicht mehr zu fragen, da Sie diese anderweitig entsorgt haben.«
Da tat McDevonshire etwas, von dem er nie gedacht hatte, dass er sich dazu erniedrigen würde. Er bettelte! »Ich flehe Sie an, diese Entscheidung zu überdenken. Ich bin überzeugt, Ericson ist unschuldig und …«
»Ach, haben Sie ihn deshalb laufen lassen?«
»Wir sind hinter dem falschen Mann her, begreifen Sie das doch endlich! Ich glaube …«
»Wenn Sie glauben, dann sprechen Sie mit einem Geistlichen darüber, aber nicht mit einem Polizisten. Und Sie sind hinter gar niemandem mehr her, McDevonshire, dass das klar ist. Gehen Sie mir aus den Augen! Ich gebe Ihnen zehn Minuten, dann will ich Sie in diesem Gebäude nicht mehr sehen!«
Der Commissioner, nein: der Ex -Commissioner gab auf. Wortlos zog er Ausweis und Marke aus der Tasche, knallte sie auf Jorgensens Schreibtisch, drehte sich um und schritt ohne Eile zur Bürotür. Doch bevor er sie öffnete, entwischte ihm ein letzter Satz: »Dann muss ich die Wahrheit eben alleine ans Licht bringen!«
McDevonshire trat in den Gang hinaus und ließ den penetranten Duft in Jorgensens Büro und den Polizeidienst hinter sich. Er brauchte keine zehn Minuten, um das Gebäude zu verlassen.
Sekundenlang starrte Jorgensen auf die Tür, durch die der alte Mann verschwunden war. Dann schüttelte er den Kopf. Wie hatte sich jemand wie McDevonshire nur so lange im Dienst halten können? Der Kerl war eine Belastung für die ganze Abteilung!
Gewesen , sagte er sich. Gewesen!
Wenn man den gestiegenen Anforderungen der technischen Welt nicht mehr gewachsen war, dann musste man eben die Konsequenzen ziehen. Und wenn man dazu nicht bereit war, durfte man sich nicht beschweren, wenn jemand anders es für einen tat.
Was scherte es ihn, ob Ericson schuldig war oder nicht? Darüber sollten ein Gericht oder der liebe Gott entscheiden. Für ihn zählte nur, dass der Fall möglichst schnell abgeschlossen werden konnte und nicht die Statistik belastete.
Dann muss ich die Wahrheit eben alleine ans Licht bringen.
Dieser Satz hallte in Jorgensens Bewusstsein nach wie ein Echo. Er glaubte zwar, dass sich McDevonshire damit nur einen spektakulären Abgang aus dem Büro verschaffen wollte, gewissermaßen das verbale Äquivalent zum Türenschlagen, das ein Spencer McDevonshire sich nie erlaubt hätte, aber man konnte nie sicher sein!
Mit einem theatralischen Seufzen öffnete er das Intranet des Londoner Interpol-Büros und verfasste eine Mitteilung an alle Mitarbeiter, die vor einem
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