Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte
Einleitung
SEEKRIEGSGESCHICHTE ALS WELTGESCHICHTE
um Preis von vier Dollar erschien im Jahr 1890 bei dem Verleger Little, Brown & Co in Boston ein Buch, das für die europäische Seekriegsgeschichte, ja, für die Weltgeschichte eine fundamentale Bedeutung erlangen sollte, heute aber weitgehend unbekannt ist. Verfasst hat es der amerikanische Marineoffizier Alfred Thayer Mahan (1840–1914). Unter dem Titel
The Influence of Sea Power upon History
untersucht die Studie, welch eminente Bedeutung der Herrschaft über die Meere für den Gang der Weltgeschichte zukommt. Schnell wurde das Buch nicht nur in den USA, wo es bis heute über 50 Auflagen erlebt hat, sondern auch im alten Europa aufmerksam rezipiert. Einer seiner begeistertsten Leser war der Deutsche Kaiser Wilhelm II.: «Ich verschlinge gerade Captain Mahans Buch und versuche es auswendig zu lernen.» Seine Majestät sorgte schon bald für das Erscheinen einer deutschen Übersetzung. Mahans Werk wurde auf diese Weise zu einem der wichtigsten Impulsgeber im Rüstungswettlauf zur See zwischen den europäischen Mächten am Ende des 19. Jahrhunderts, der das politische Denken in Schlachtschiffparametern zur Folge hatte: Panzerstärke und Tonnage, Geschützkaliber und Geschwindigkeit brachten es zu zentralen Bezugspunkten nationalen Selbstverständnisses.[ 1 ]
Mahans Seekriegstheorien waren eigentlich als Argumentationshilfe für einen amerikanischen Seeimperialismus gedacht, wirkten sich jedochviel stärker auf die maritimen Strategien europäischer Mächte aus. Seine These wurde zwar im Laufe der Zeit von verschiedenen Seiten kritisiert, doch in einem Punkt hatte er zweifellos Recht: «Leicht ist es, ganz allgemein zu sagen, dass die Seefahrt und die Beherrschung der See ein bedeutender Faktor in der Weltgeschichte sei und gewesen sei, mühsamer dagegen, ihre wahre Tragweite in einem besonderen Falle zu erforschen und nachzuweisen.»[ 2 ]
Der «Clausewitz der See»: Alfred Thayer Mahan (1840–1914), Konteradmiral der US-Navy und Marineschriftsteller, hat mit seinem 1890 erschienenen Werk
The Influence of Sea Power upon History
die marinestrategischen Entwicklungen in den USA und Europa vor dem Ersten Weltkrieg stark beeinflusst. Kaiser Wilhelm II. wollte das Werk auswendig lernen, und dem Autor trug es in der englischsprachigen Marinehistorie die Anerkennung als «Clausewitz of the Sea» ein. Bis heute haben seine geostrategischen Beobachtungen in den USA ihre Bedeutung nicht verloren, und auch in Indien oder China sind sie zum Bezugspunkt für die wachsenden Ambitionen dieser Staaten als Seegroßmächte geworden. Die Photographie stammt aus dem Jahre 1904.
Genau diese Beobachtung stellt den Ausgangspunkt für das vorliegende Buch dar, in dem wir anhand von zwölf exemplarischen Seeschlachtenvon der Antike bis in das 20. Jahrhundert die weltgeschichtliche Rolle maritimer Konflikte erklären wollen. Dabei wird es nicht nur darum gehen, das einzelne militärische Ereignis aus seinen vielschichtigen Entstehungszusammenhängen zu schildern, sondern auch die weitreichenden Folgen der großen Seeschlachten zu zeigen. Gerade diese Ausrichtung auf kulturgeschichtliche Zusammenhänge, die Verbindung von militärischen mit politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt mentalen Wandlungsprozessen, ist entscheidend für die Konzeption dieses Buchs. Unsere Darlegungen gründen sich mithin auf die weit ausgreifenden Perspektiven, wie sie etwa der kulturgeschichtliche Ansatz eines Hans Delbrück (1848–1929) vertrat, der schon vor dem Ersten Weltkrieg die Kriegsgeschichte nicht den Militärs überlassen wollte, sondern Krieg und Kriegsführung als zentrale Faktoren gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse analysiert hat. In der Einleitung des vierten Bandes seiner
Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte
resümierte er im Geiste der hegelschen Dialektik: «Die Erkenntnis der Wechselwirkung zwischen Taktik, Strategie, Staatsverfassung und Politik wirft ihr Licht auf den Zusammenhang der Universalgeschichte und hat Vieles, was bisher im Dunkel lag oder verkannt wurde, aufgehellt.»[ 3 ]
Das Vorhaben, Kriegsgeschichte in größeren Zusammenhängen zu erzählen, zwingt zu Akzentsetzungen. So sei an dieser Stelle sogleich gesagt, was dieses Buch alles
nicht
sein will: Es soll kein seekriegsgeschichtliches Handbuch sein, in dem alle bedeutenderen maritimen Gefechte aufgeführt sind. Ebenso wenig ist es eine
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