100 - Des Teufels Samurai
der sich ihm bot.
Dort lag, auf einer Bodenmatte aufgebahrt, der Samurai mit der Maske. Er war etwa zwei Meter groß und trug die Kleidung, die Dorian in seiner Vision gesehen hatte. Sein Gesicht wurde von der Maske mit der aufgemalten Fratze verdeckt. Rund um seinen reglosen Körper standen kleine Schälchen mit Opfergaben, zumeist Wasser und Reis.
„Ist - ist das einer der Schauspieler?" fragte Dorian stotternd. „Befindet er sich in Trance?"
„Es ist die Mumie des echten Tomotada, der vor über dreihundertfünfzig Jahren Angst und Schrecken verbreitet hat", erklärte Yoshi. „Er ist tot - aber ich vermute, daß seine Mumie in das magische Kabuki miteinbezogen werden soll. Warum sonst hat man ihn hier aufgebahrt?"
Dorian starrte auf den hünenhaften Körper hinab. Plötzlich glaubte er zu sehen, daß sich einer der Finger der linken Hand bewegte.
„Er ist nicht tot!" stieß er hervor. „Er hat sich bewegt…"
„Malen Sie nicht den Teufel an die Wand…" Yoshi unterbrach sich. Er wich einen Schritt zurück, als der Samurai mit der Maske langsam einen Arm hob - und ihn dann wieder kraftlos sinken ließ. Ein dumpfes Geräusch ertönte, als der Arm auf dem Boden aufschlug.
„Ist es möglich?" sagte Yoshi zweifelnd. „Ist das der eigentliche Grund für die Beschwörung?"
„Was meinen Sie?" fragte Dorian.
„Ich befürchte, daß die Mumie des Tomotada erweckt werden soll", sagte Yoshi und drängte Dorian fort. „Los, wir müssen durch den bescheidenen Eingang verschwinden, bevor die Dämonendiener hereinkommen."
„Aber der Samurai ist tot!" rief Dorian.
„Untot ist der treffendere Ausdruck", erwiderte Yoshi.
Dorian erreichte den Ausgang als erster, bückte sich und ließ sich ins Freie fallen. Yoshi folgte dichtauf. Hinter ihnen ertönte im Pavillon das Trampeln schwerer Schritte.
„Man darf uns nicht sehen", raunte Yoshi und robbte dicht am Boden zu einer nahen Hecke.
Dorian sah einige Gestalten, die sich unter den sieben Torbogen hindurch dem Haus näherten. Der Kostümierung und den geschminkten Gesichtern nach zu schließen, schienen sie der Kabuki-Truppe anzugehören.
Yoshi hielt erst inne, als er sicher sein konnte, daß er sich den Blicken der Dämonendiener entzogen hatte. Dorian keuchte, als er ihn erreichte, denn ein Mann von Steiners Statur hatte bestimmt keine gute Kondition.
„Sagen Sie, daß es nicht wahr ist!" bedrängte er den Japaner. „Etwas, das über dreihundert Jahre tot ist, kann nicht mehr ins Leben zurückgerufen werden. Das ist - Irrsinn!"
Yoshi schüttelte den Kopf.
„Jetzt habe ich die Gewißheit, daß es Olivaro vor allem auf die Wiedererweckung Tomotadas ankommt. Alles andere ist nur von sekundärer Bedeutung, effektvoller Aufputz."
Dorian war nahe daran, sich Yoshi zu erkennen zu geben. Er vermutete, daß der Japaner noch einige Informationen besaß, die er Richard Steiner vorenthielt. Doch dann entschied er sich dagegen. Es würde ihm nicht genug einbringen, wenn er sein Inkognito lüftete, aber es schadete auf jeden Fall, wenn zu viele eingeweiht waren.
Allerdings war ihm die Steiner-Maske im Augenblick lästig. Sie beschränkte seinen Aktionsradius beträchtlich, obwohl gerade diese Situation entschlossenes Handeln verlangte.
Dorian beschloß, die Initiative zu ergreifen und Steiner für eine Weile verschwinden zu lassen.
Ohne daß Yoshi, der den Pavillon beobachtete, es merkte, holte er den Kommandostab hervor und fuhr ihn zu seiner ganzen Länge von vierzig Zentimetern aus. Dann suchte er damit den Boden ab. „Was treiben Sie da, Richard?" fragte Yoshi über die Schulter.
Dorian gab keine Antwort. Keine fünf Meter von dem Japaner entfernt schlug der Kommandostab aus. Leicht zwar, aber immerhin: Hier war ein schwaches Magnetfeld, das ihm einen Sprung von einigen hundert Metern erlauben würde.
„Hier ist es zu gefährlich", sagte Dorian. „Wir sollten verschwinden, Yoshi."
„Machen Sie keine Dummheiten, Richard", warnte der Japaner. „Wir bleiben so lange, bis ich weiß, ob Tomotada wirklich zu einem Untoten gemacht worden ist."
Dorian hatte den magischen Zirkel hervorgeholt und steckte damit blitzschnell den Magnetkreis ab. Er atmete auf, als dies geschehen war. Yoshi hatte nichts gemerkt.
„Richard, kommen Sie zurück!" Jetzt wandte sich Yoshi um.
Dorian dachte an das Versteck, von dem aus er mit dem Japaner die Kabuki-Bühne beobachtet hatte. Irgendwo in der Nähe der Bühne würde es bestimmt ein Magnetfeld geben, zu dem er springen
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