1684 - So grausam ist die Angst
Tamara und ihr Rad waren regelrecht von den mächtigen Hinterreifen zerdrückt worden. Rosy war froh, dass ihr dieser Anblick erspart geblieben war.
So hatte sich Tamara ihr Leben nicht vorgestellt. Zusammen mit ihren Eltern war sie vor zwanzig Jahren aus Russland nach London gezogen. Und fast seit dieser Zeit kannten sich die beiden Frauen und hatten das feste Band der Freundschaft geschlossen.
Rosy schaute auf die Uhr. Es war spät geworden. Kurz vor Mitternacht. Aber bei diesem Wetter zu schlafen brachte immer wieder Probleme. Das war nicht zu ändern. Obwohl sie ein Fenster geöffnet hatte, drang kaum Luft ins Zimmer.
Sie stand vor dem Fenster und starrte nach vorn, ohne etwas zu sehen.
Der Himmel schien wie schwere und dunkle Pappe über der Stadt zu liegen und ließ kein Durchatmen zu. Die Geräusche der Nacht kannte sie. Rosy erschreckten sich nicht mehr. Sie konnte auch bei offenem Fenster schlafen. Es war alles eine Sache der Gewöhnung.
Nein, es war kein Abend wie jeder. Abgesehen von ihrem Vorhaben am folgenden Tag spürte sie noch ein ungewöhnliches Gefühl in ihrem Innern. Sie konnte es nicht beschreiben, es war einfach anders. Vielleicht mit einer Unruhe gleichzusetzen, aber die wollte sie nicht auf das Ereignis am folgenden Tag beziehen, das musste einen anderen Grund haben, über den sie zwar nachdachte, jedoch keine Erklärung dafür fand, und das gefiel ihr nicht.
Warum erlebte sie dieses Unwohlsein, das mit einer inneren Anspannung verbunden war?
Eine Erklärung hatte sie nicht. Es war so, als würde sie auf etwas Bestimmtes warten, das allerdings nur auf der Lauer zu liegen schien und so schnell nicht eintreten würde. Etwas, das nicht zu fassen war, sich ihr jedoch immer mehr näherte.
Draußen in der Dunkelheit fand sie nicht die Erklärung. Rosy dachte auch an eine vorübergehende Erscheinung. Das konnte an der Hitze liegen, die dafür gesorgt hatte, dass ihre Nerven überstrapaziert waren, aber das waren Theorien, und wenn sie an die Hitze dachte, kam ihr auch das direkte Gegenteil in den Sinn.
Kälte. Zumindest Abkühlung. Das war es doch. Kurz mal unter die Dusche gehen. Darauf konnte sie sich freuen, auch wenn es nicht das Gleiche war, als wenn sie in einen kalten Pool springen würde.
Das Wasser wurde zwar nie richtig kalt, aber das störte sie nicht. Auch jetzt empfand sie es als lauwarm, als sie in der Dusche stand, die Hand ausstreckte und die Temperatur des Wassers testete.
Sie ließ es eine Minute rauschen, bevor sie sich unter die Strahlen stellte.
Das Wasser sorgte dafür, dass ihre Gedanken ausgeschaltet wurden. Später wusste sie selbst nicht, wie lange sie unter der Dusche gestanden hatte.
Rosy hüllte sich in das breite Badetuch und trocknete sich ab. Auch das dunkle Haar rieb sie so gut wie möglich trocken und war dann bereit für das Bett.
Ob sie Schlaf finden würde, wusste sie nicht. Hauptsache, sie lag und konnte sich dabei entspannen.
Das Schlafzimmer war recht klein. Für sie jedoch ausreichend. Ein Bett, ein Kleiderschrank, ein Spiegel. Die Tür ließ sie offen, das schmale Fenster auch, und an die Außengeräusche störte sie sich nicht, die kannte sie. Hätte sie keine gehört, wäre sie schon verwundert gewesen.
Sie lag kaum auf der Matratze, als wieder dieses andere Gefühl da war. So etwas wie ein Druck, der für eine gewisse Angst sorgte, als stünde sie dicht davor, etwas Beängstigendes zu erleben, und auf einmal hatte sie den Eindruck, nicht mehr allein zu sein.
Rosy blieb still liegen.
Nichts tat sich. Sie sah den Schrank, dann das offene Fenster, aber auch den langen Spiegel an der Wand.
Völlig finster war es nicht im Raum. Im kleinen Flur brannte Licht. Der Schein erreichte auch den Schlafraum und vertrieb die Dunkelheit.
Das Gefühl, wegzusacken, verstärkte sich. Immer öfter fielen ihr die Augen zu. Rosy kämpfte auch nicht dagegen an. Sie hatte einen harten Tag hinter sich, sie brauchte den Schlaf, in den sie dann übergangslos fiel.
Alles war vergessen. Das bedrückende Gefühl, die Geräusche von außen, es gab die normale Welt nicht mehr. Schlafen war ein wenig wie tot sein, zumindest bei ihr.
Die Welt der Träume nahm sie auf. Wirre Bilder entstanden. Sie war nicht in der Lage, sie zu ordnen. Das große Durcheinander störte sie zwar nicht, aber ihr Schlaf wurde unruhig. Es war auch daran zu sehen, dass sich Rosy Mason auf ihrem Bett herumwälzte, mal aufstöhnte und danach wieder in einen tiefen Schlaf fiel.
Die Träume
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