100 Prozent Anders
sieben Gläser Orangensaft und so weiter. Zwei Männer an der Theke orderten Apfelkorn. Nach fünf Minuten verlangten sie zwei weitere Schnäpse, und ich fragte keck, ob die Herren immer alleine trinken würden. „Was möchtest du denn?“, fragte der eine zurück. Einen „Asco“ bitte, also Asbach-Cola. Ich trank normalerweise nichts, aber es förderte den Umsatz, und irgendwann landete mein Getränk, von den Gästen unbemerkt, im Abfluss.
Nach ein paar weiteren Minuten sprach mich einer der beiden Herren an und sagte: „Mein Name ist Peter Krebs. Mein Kollege und ich kommen von RTL.“ Peng! Ich wurde von meinem Thekenuniversum in eine andere Galaxis geschleudert. „Ähhhhh“, stotterte ich, „ich bin nicht immer so!“ „So? Wie bist du denn sonst?“, wollten beide lachend wissen. „Nicht so vorlaut“, stotterte ich. Der zweite Mann hieß Michael Ahrens. Sie erzählten mir, dass sie mich bei dem Casting am Abend vorher gehört hätten und dass ihnen meine Stimme gefalle. Sie würden gerne mit mir zusammenarbeiten. Ich war einverstanden.
Peter Krebs und Michael Ahrens stellten den Kontakt zu Daniel David her, einem Frankfurter Produzenten. Er ging mit mir in ein Studio und testete meine Stimme. Er war so begeistert, dass er wiederum sofort Kontakt mit der Plattenfirma CBS in Frankfurt aufnahm und ich meinen ersten Schallplattenvertrag erhielt. Daniel David kam zu mir und versuchte mir vorsichtig zu erklären, dass ich einen Künstlernamen bräuchte. Er sagte, Bernd Weidung würde irgendwie nicht nach Star klingen und wäre ihm auch zu kompliziert. Außerdem würde ihn Weidung zu sehr an eine Kuh auf der Weide erinnern, und darauf habe er keine Lust. Damals war das so! Ein Künstlername musste sich sofort im Kopf der Menschen festsetzen: Bernd Clüver, Jürgen Marcus, Roy Black, Mary Roos, Lena Valaitis, Bernhard Brink, Michael Holm und viele andere mehr. Die Namen saßen und gingen den Menschen nicht mehr aus dem Kopf. Aber Bernd Weidung?
Der damalige Geschäftsführer der CBS hieß Anders mit Nachnamen, und mein Produzent dachte, wenn ich auch Anders hieße, würde das sicherlich dem Plattenboss schmeicheln, und wir bekämen ein höheres Budget zur Verfügung gestellt. Ob das geklappt hat, weiß ich bis heute nicht, aber der Nachname stand somit schon mal fest. Zur damaligen Zeit war Tommi Ohrner ein Superstar für die Teenies in Deutschland. Als „Tim Thaler, der Junge, der sein Lachen verlor“, war er der angesagteste Jungschauspieler der Nation. „Tommi“ bzw. „Tommy“ war ein geläufiger Name und in aller Munde. So kam die Idee auf, mich Tommy Anders zu nennen.
Darauf hatte ich aber keine Lust. Ich meinte: „Ich will nicht Tommy heißen. Wenn ich mal 30 bin, klingt das doch doof.“ Also einigten wir uns auf Thomas. Ab sofort war ich also Thomas Anders.
Meine erste Single als Thomas Anders hieß „Judy“ und war die deutsche Version des Randy-Vanwarmer-Songs „Call me“. Die Single brachte leider nicht den gewünschten Erfolg. Trotzdem hatte ich die Chance, mit dem berühmten Tommi Ohrner auf Tournee zugehen. Mein damaliger Manager Peter Krebs hatte mir ein Engagement in „Tommi Ohrners Teen Rock Show“ verschafft. Tommi war damals 18 Jahre alt, also nur zwei Jahre älter als ich. Auch mit den anderen Newcomern verstand ich mich prima. Jeden Freitag nach der Schule fuhr ich von Koblenz mit dem Zug nach Frankfurt, wo mich Peter Krebs ins Auto setzte und mit mir quer durch Deutschland zu den Auftritten mit Tommi Ohrner und Co. fuhr. Am Sonntagabend war ich wieder zuhause, so dass ich noch genügend Zeit hatte, um meine Hausaufgaben zu machen und für die Schule zu lernen. Beim großen Eröffnungskonzert in Frankfurt waren natürlich Journalisten von allen Jugendmagazinen vor Ort: Bravo, Popcorn usw. In der Bravo gab es eine Rubrik, die sich „Junge Talente“ nannte und immer auf Seite drei erschien. Wie sollte es auch anders kommen – plötzlich war ich der Junge von Seite drei. Ich wurde fotografiert und im Interview unter anderem auch gefragt, ob ich eine Freundin habe. Meine Antwort damals: „Nein. Ich habe noch keine Freundin. Das kommt noch.“
Als die Bravo im Handel war, habe ich sofort überschlagen, wie viel Geld ich auf meinem Konto hatte. Ich wollte die gesamte Bravo-Auflage aufkaufen, so sehr habe ich mich für den Artikel geschämt. Die Überschrift lautete: „Ich habe noch nie ein Girl geküsst!“ – Hat jemand eine Ahnung, wie demütigend das mit 16 ist? Die
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