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100 Prozent Anders

100 Prozent Anders

Titel: 100 Prozent Anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Anders
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wahre Hölle kam aber erst noch. Der Hausmeister des Eichendorff-Gymnasiums, Goofy genannt, hatte sich nichts dabei gedacht und den Bericht inklusive Fotos ausgeschnitten und riesengroß ans Schwarze Brett gepinnt. Ich hätte nie geahnt, was für ein niederschmetterndes Gefühl das ist, wenn selbst ein Sechstklässler nur verächtlich an einem vorbeiblickt. Nach dem Motto, schlimm genug, dass der Anders vom Land kommt, jetzt ist er auch noch völlig zurückgeblieben und hat noch nie ein Mädel geküsst. Wie peinlich!
    Ich sah den Artikel an der Pinnwand schon von weitem. Mein Kumpel Andreas, der neben mir lief, meinte nur: „Oh, was ist das denn?“ Worauf ich rief: „Halt die Schnauze.“ Dann schrie ich nach Goofy und befahl ihm, den Artikel sofort wieder abzuhängen. Aber natürlich hatten ihn längst alle 900 Schüler gelesen. Was für eine Schmach!
    ***
    Etwas später war das erste Halbjahr an meiner neuen Schule geschafft, und es ging auf die Halbjahreszeugnisse zu. Ich machte mir nicht allzu viele Gedanken. Zum einen waren meine Noten gut, zum anderen zählte in unserem Schulsystem das erste Halbjahr der Oberstufe sowieso nicht fürs Abitur. Also alles ganz entspannt? Nicht ganz! Ich hatte in den vergangenen Monaten eine aufregende Zeit. Neue Schule, neue Schulkameraden, meine erste Single, eine kleine Tournee, die ersten überregionalen Presseberichte.
    Am Tag nach der Zeugniskonferenz wurde ich mit zwei weiteren Schülern zu unserem Direktor zitiert. Während der Notenkonferenz war meinem Sportlehrer aufgefallen, dass ich nur ein einziges Mal zum Sportunterricht – Sie erinnern sich, der verhasste Fußballkurs? – erschienen war. Es stellte sich heraus, dass es insgesamt drei Schüler gab, die es so wie ich gemacht hatten. Unser Klassenlehrer informierte uns darüber, dass wir auf der Stelle beim Direktor anzutanzen hätten. Der liebe Herr Direktor Rahmann! Wir drei marschierten also in sein Sekretariat und warteten. Er rief uns einzeln zu sich. Ich kam als letzter dran. Ich hörte draußen die Maßregelungen von Direktor Rahmann und sein Geschrei. Beide Jungs kamen jeweils wie ein Häufchen Elend aus dem Büro des Direktors. Und dann war ich an der Reihe. Ich hatte in den zehn Minuten vorher Zeit gehabt, mir eine Strategie auszudenken: Ich fühlte mich immer noch irgendwie durch meinen Lehrer, Herrn Harder, unfair behandelt. Mir einfach den Fußballkurs aufzubrummen, ohne mir auch nur den Hauch einer Chance auf eine Alternative zu lassen, empfand ich als total diktatorisch.
    Ich hatte kaum Rahmanns Büro betreten, da wollte der Direktor erneut losschreien. Doch bevor er dazu kam, stoppte ich ihn: „Moment, Herr Direktor. Bitte geben Sie mir eine Sekunde, damit ich Ihnen erklären kann, wie es überhaupt so weit kommen konnte.“ Rahmann riss die Augen auf angesichts von so viel Dreistigkeit, aber er ließ mich erzählen.
    Also erklärte ich ihm die verfahrene Situation und sagte: „Wissen Sie, Herr Rahmann, es gibt Menschen, die haben zwei linke Hände. Und genauso habe ich zwei linke Füße. Fußball und ich, das geht gar nicht.“ Ich war so im Redefluss, dass ich gar nicht bemerkte, dass die linke Hand von Rahmann eine Prothese war. Oh, Mann! Bis er plötzlich losschrie: „Wie meinen Sie das mit den zwei linken Händen? Was fällt Ihnen eigentlich ein?“ Darauf ich: „Ähhhhh, ich meine, ich kann nicht Fußball spielen. Ich finde Fußball ätzend. Mich hat auch niemand gefragt, ob ich überhaupt Fußball spielen möchte. Ich wurde einfach dafür eingeteilt.“ Bevor er wieder laut wurde, unterbreitete ich ihm einen Vorschlag: „Ich habe mir etwas überlegt, wie ich mein Fehlverhalten wiedergutmachen kann.“ Bis dato hatte wohl noch kein Schüler die Chuzpe gehabt, dem Direktor einen Deal anzubieten. Doch Rahmann zeigte sich interessiert. „Was haben Sie vor?“ – „Ich singe. Ich kann gut singen. Ich habe sogar schon Schallplatten aufgenommen, die auch veröffentlicht wurden. Beim nächsten Schulfest gebe ich mit der Schulband ein Konzert.“ Er sah mich an: „Wie, Sie haben schon Schallplatten aufgenommen? Das ist ja interessant. Da haben wir also einen richtigen Künstler an unserer Schule?“ Ich nickte: „Verstehen Sie jetzt, warum ich nicht Fußball spielen kann? Wahre Künstler spielen nicht Fußball.“ Rahmann war kaum noch zu bremsen. Er wollte alles über meine Musik wissen. Nach einer dreiviertel Stunde waren wir uns einig. Er willigte in meinen Vorschlag ein und

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