1.000 Euro für jeden
wird nicht genügen, sich für Mindestlöhne
einzusetzen. Die Gewerkschaften müssen ein konstruktives statt abwehrendes
Verhältnis dazu entwickeln, dass genügend Güter produziert werden und dafür nur
noch eine Minderheit der Menschen arbeiten muss. Sonst bleiben sie eine
»ausgekühlte Bedürfnisgruppe«, um es mit einer Wortschöpfung Peter Sloterdijks
zu sagen.
Das Dilemma der
Ein-Euro-Jobs
Ein
weiterer Auswuchs der Manie, alle müssten einer Arbeit nachgehen, sind die
Ein-Euro-Jobs. Als einer der größten Anbieter von Ein-Euro-Jobs gilt die Dekra.
1925 als Deutscher Kraftfahrzeug-Überwachungs-Verein gegründet, ist das Unternehmen
heute eine der größten Prüfgesellschaften der Welt. Geprüft werden neben Autos
auch technische Anlagen wie Aufzüge, Medizinprodukte oder Spielzeuge. Die Dekra
beschäftigt etwa 30000 Menschen. Sie betreibt eine eigene Aus- und
Weiterbildungsakademie, berät Unternehmen bei Personalfragen respektive
»Outsourcing« und vermittelt »flexible Arbeitnehmerüberlassung«, zu
Deutsch: Zeit- oder Leiharbeitende. Zusammen mit den Jobcentern betreibt die
Dekra auch quasi »fiktive« Unternehmen, also Modellbetriebe, die angeblich »wie
normale Betriebe« funktionieren, nur eben keinen Gewinn machen und allen
Beschäftigten einen Einheitslohn zahlen: einen Euro pro Stunde.
Ein
solcher fiktiver Betrieb ist zum Beispiel die »Toys Company«, die in
verschiedenen Städten etwa 2600 Ein-Euro-Jobber beschäftigt. Deren Aufgabe ist
es beispielsweise, gespendetes Kinderspielzeug zu reparieren. Ein Herz für
Kinder! So könne sich jeder »intensiv mit den jeweiligen Arbeitsaufgaben
befassen, seine bisherigen Erfahrungen und Kenntnisse, aber auch eigene Ideen
einbringen«, so die Selbstdarstellung des Unternehmens im Internet.
Die
Dokumentarfilmerin Eva Müller berichtet in ihrer Reportage »Die
Armutsindustrie« über arbeitslose Frauen, die in der Toys Company gespendete
Puzzles auf ihre Vollständigkeit überprüfen – indem sie sie legen. »Der
Rekord liegt beim 5000er-Puzzle bei knapp zehn Tagen. Und dann mussten wir
leider feststellen, dass drei Teile fehlten«, zitiert sie den fröhlich
daherredenden Geschäftsführer.
Aus
Mangel an Spielzeug wurde eine »Frühchenabteilung« geschaffen, in der
arbeitslose Frauen Miniatursöckchen oder -mützen stricken und häkeln, um
Frühgeborene in Deutschland vor Erfrierung zu schützen.
Diese
Art von Arbeit wird in einem »Modellunternehmen« staatlich gefördert! Wir
erinnern uns dunkel an den vorgeblichen Sinn der Ein-Euro-Jobs: Menschen sollen
(wieder) ans Erwerbsleben herangeführt werden: Pardon, an welches?
Mehr
als vierzig Prozent eines jeden Jahrgangs, der die Schulen verlässt, landen
laut »Berufsbildungsbericht« der Bundesregierung, der im Frühjahr 2010
veröffentlicht wurde, in einer von Zigtausenden solcher »Maßnahmen«. So gelten
sie nicht als arbeitslos: Das verschönert die Statistik.
Dass so
gut wie keiner von den Ein-Euro-Jobbern solche Arbeit gerne macht, versteht
sich von selbst. Und dass man durch solche »Qualifizierungsmaßnahmen« auch
keinerlei Kompetenz gewinnt, die am Arbeitsmarkt hilfreich sein könnte, dürfte
einleuchten. Der einzige Lerneffekt der sechs Monate, in denen man durch diesen
Modellbetrieb geschleust – und ruhig gestellt – wird, ist, die Sinn-
und Wirkungslosigkeit des eigenen Tuns auszuhalten. Kann das ein staatlich
gefördertes Ziel sein?
Wer
glaubt, dass es sich bei diesen Beispielen um willkürlich herausgegriffene
Einzelfälle handelt, übersieht, dass Ein-Euro-Jobs so angelegt sind, dass sie
keinen Sinn haben dürfen – um keine regulären, besser bezahlten Jobs zu
gefährden. Es muss sich um zusätzliche Arbeit handeln, die sonst nicht gemacht
würde. Aber wie soll ein sinnvoller Job aussehen, der »sonst nicht gemacht
würde«? Sobald eine Arbeit sinnvoll und notwendig ist, wird sie von
irgendjemandem gemacht oder gehört zumindest der Form halber in das
Tätigkeitsfeld irgendeines Betriebes oder einer Behörde.
Als
etwa die Gemeinde Demmin/Völschow in Vorpommern im Januar 2010 fünf Arbeitslose
als Ein-Euro-Jobber zum Schneeschippen einsetzte, griff das zuständige
Jobcenter sofort ein und untersagte den Einsatz. Begründung: Schneeschippen sei
keine zusätzliche Aufgabe, sondern falle in die Verkehrssicherungspflicht der
Gemeinden. Der empörte Bürgermeister aktivierte den Innenminister von
Mecklenburg-Vorpommern und die Medien, am Ende erteilte die
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