1.000 Euro für jeden
Runde kannte eine oder einen, die oder der Ähnliches
erlebt hatte. Entrüstung hingegen löste ihre Ankündigung aus, sie wolle den
akademischen Betrieb ganz verlassen, weil sie es ablehne, ihre
Habilitationsschrift heimlich durch Hartz IV zu finanzieren. Sie will ihr
Forschungsvorhaben dem Amt gegenüber nicht geheim halten müssen – da
wissenschaftliche Arbeit ja nicht förderungswürdig ist – und eben auch
nicht die Tortur sinnloser Maßnahmen über sich ergehen lassen. Den psychischen
Anforderungen dieser geforderten Unaufrichtigkeit ist sie nicht gewachsen.
Immer
mehr Privatdozenten und Lehrbeauftragte, ohne die kaum noch eine deutsche
Universität existieren könnte, können von den Honoraren nicht leben und
beziehen Hartz IV. Die unterfinanzierten Universitäten profitieren von dieser
Art staatlichen oder privaten Zuschusses, weswegen sie derlei nur selten
thematisieren. Indem Akademiker bereit sind, auf der Grundlage von Hartz IV zu
promovieren oder sich zu habilitieren, tragen sie mit ihrer Arbeit einen nicht
unerheblichen Teil zur Forschungsleistung ihrer Universität bei, ohne dafür von
dieser vergütet zu werden. Im Gegenteil: Nach der Fertigstellung von
Dissertationen und Habilitationen fließen nicht selten private Ersparnisse in
den Druck der Werke; hinzu kommen Vorträge auf Konferenzen, Tutorien und
Lehraufträge, für die sie ebenfalls selten mehr als ein niedriges
Anerkennungshonorar bekommen, die aber selbstverständlich zu den Aufgaben des
Forschungsnachwuchses gehören. Selbst die Arbeit der (Privat-)Dozenten entpuppt
sich – wenn man die pauschalen Honorare auf den Stundenlohn
herunterrechnet – oft als akademische Variante des Ein-Euro-Jobs. Im
Resultat müssen die Eltern nach wie vor zuschießen.
Wäre
das für Guido Westerwelle eigentlich Betrug am Sozialsystem? Beugung der
Hartz-IV-Kriterien? Erschleichung von Bildungsförderung? Oder ist es nicht viel
eher Verschwendung von Steuergeldern, von denen Susanne H.s universitäre
Ausbildung finanziert wurde, wenn sie sich mit ihrem erworbenen Wissen und
ihrem Forschungsdrang nicht habilitieren darf, weil es die
Hartz-IV-Gesetzgebung nicht erlaubt?
Es
fällt nicht schwer, sich vorzustellen, dass Susanne H. mit ihren Fähigkeiten
anderes anzufangen wüsste als das, was ihr das Jobcenter rät. Ausgestattet mit
einem Grundeinkommen von den angenommenen tausend Euro, könnte sie es in einen
selbstgewählten Arbeitszusammenhang mitbringen oder ihrer Liebe zur
wissenschaftlichen Forschung folgen.
10. Kapitel:
Sozialstaat im Wandel –
Gesellschaft im Fluss
Es war einmal … –
der Generationenvertrag
»Kinder
kriegen die Leute immer«, ist einer der berühmten Sätze Konrad Adenauers, des
ersten Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland. Der Satz fiel 1957 in den
politischen Auseinandersetzungen über eine erschreckende Realität in Zeiten des
Wirtschaftswunders: Altersarmut. Die Rentenzahlungen waren karg und weitgehend
steuerfinanziert, eigene Rücklagen hatten die wenigsten.
Bei
Thema Renten geht es immer um die Frage, wie man fürs Alter vorsorgt, also für
eine Zeit, in der man nicht aus eigener Kraft Einkommen erwirtschaften kann.
Die eine Variante ist, einen gewissen Betrag seines Einkommens zurückzulegen
– solange man kann – und im Alter vom Ersparten zu leben. Dieses
Prinzip der kapitalgedeckten Altersvorsorge birgt allerdings die Gefahr, dass
das Geld in den Jahren, in denen man es benötigt, weniger wert ist als an jenem
Tag, als man es einzuzahlen begann – wegen der Inflation oder Entwertung. Oder
man hat unter politischen Entscheidungen zu leiden – wie die Rentner in den
1950er Jahren. Damals hatten die politischen Machthaber die gutgefüllten
Rentenkassen geplündert, um Kriegskosten zu begleichen.
Die
zweite Variante der Vorsorge ist sicherer. Man muss nur rechtzeitig jemanden
finden, der sich verpflichtet – aus welchen Gründen auch immer –, im
Alter für einen zu sorgen, etwa weil er oder sie dankbar ist für die
Erziehungsarbeit, die man geleistet hat, oder weil man sie oder ihn als Erben
eingesetzt hat. In der Agrargesellschaft – und bis heute auf den noch
wenigen Großhöfen – war es bei den Bauern üblich, den Hof dem ältesten
Sohn zu überlassen, mit der Verpflichtung, für die Eltern bis zu ihrem Tod zu
sorgen. Im Zuge der Industrialisierung verringerten sich mit den
landwirtschaftlichen Existenzgrundlagen schon im 19. Jahrhundert auch die
möglichen Vermächtnisse der Alten an die
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