Teuflische Schwester
1
Als Polly MacIver kurz vor dem ersten Morgenlicht die
Augen aufschlug, konnte sie nicht ahnen, daß sie nur noch
wenige Minuten zu leben hatte. Schlaftrunken kicherte sie
leise vor sich hin. Noch war sie aus ihrem letzten Traum
nicht ganz erwacht. In diesem Traum hatte sie eine große
Party gegeben. Das Haus war gerammelt voll von Gästen.
Einige kannte sie gut, andere gar nicht. Vor dem Kamin
lag Tom in seiner ganzen Länge auf dem Boden.
Angestrengt studierte er das Schachbrett. Teri hatte ihn da
in eine schöne Zwickmühle gebracht. Wie es aussah, hatte
er seine Dame schon so gut wie verloren. Teri saß im
Schneidersitz auf dem Teppich und grinste ihren Vater
frech an. Im Wohnzimmer hielten sich noch andere auf,
weitaus mehr, als der Raum eigentlich fassen konnte. Aber
der Traum folgte seinen eigenen Gesetzen, und es schien
keine Rolle zu spielen, wie viele Menschen, ob Fremde
oder Freunde, in das Zimmer strömten. Es dehnte sich
nach Bedarf einfach magisch aus. Überall wurde fröhlich
gelacht. Der Abend war ein Erfolg – bis Polly in die
Küche ging, um nach dem Braten zu sehen. Dort wartete
die Katastrophe auf sie. Sie mußte den Backofen zu heiß
eingestellt haben, denn aus allen Ecken stiegen
Rauchschwaden empor. Sobald sie sich dann aber über
den Ofen beugte, war sie wieder beruhigt. Es war ja nur
wieder einmal das passiert, was ihr leider allzuoft
unterlief, die Kochkunst war für Polly nun einmal ein
Buch mit sieben Siegeln. Sie klappte den Ofen auf, und
sofort schlug ihr Rauch entgegen, um sich in der ganzen
Küche auszubreiten und sich weiter über die Eßdiele ins
Wohnzimmer zu wälzen. Das Husten der Gäste und die
ungeduldigen Rufe ihrer Tochter hatten Polly schließlich
geweckt.
Allmählich verblaßte die Erinnerung an den Traum.
Polly räkelte sich träge und kuschelte sich dann wieder an
Toms warmen Körper. Draußen braute sich ein
Sommergewitter zusammen, und ihr fielen soeben wieder
die Augen zu, da zuckte ein Blitz durch das fahle Grau der
Dämmerung. Mit einem Ruck fuhr sie hoch. Vor Schreck
blieb ihr im ersten Moment die Luft weg.
Dann schüttelte sie ein Hustenanfall, denn Rauch drang
in ihre Lungen.
In jäher Angst weiteten sich ihre Augen. Das hatte nichts
mehr mit dem Traum zu tun, der Rauch war echt.
Im nächsten Augenblick hörte sie Flammen prasseln.
Polly stieß die Decke von sich und rüttelte ihren Mann
wild an der Schulter. »Tom! Tom!«
Unerträglich langsam, so kam es ihr vor, wälzte Tom
sich ächzend auf die andere Seite und griff nach ihr. Sie
riß sich los, tastete nach der Nachttischlampe und fand
endlich den Schalter.
Keine Reaktion.
»Tom!« kreischte sie. Ihre Stimme wurde immer
schriller. Panik stieg in ihr hoch. »Wach auf! Das Haus
brennt!«
Das riß Tom aus dem Schlaf. Er sprang aus dem Bett
und warf den Morgenrock über.
Polly, die nichts außer einem dünnen Neglige anhatte,
rannte zur Tür und drehte am Griff. Der war so glühend
heiß, daß ihre Hand in einem Reflex zurückzuckte. »Teri!«
stöhnte sie. Ihre Stimme überschlug sich. »O Gott, Tom!
Wir müssen Teri da rausholen!«
Aber Tom hatte sie schon beiseite gestoßen. Er hatte die
Hände in eine Wolldecke gewickelt und versuchte jetzt
den Griff herumzudrehen. Endlich öffnete sich die Tür ein
paar Zentimeter.
Rauch schlug durch den Spalt herein, eine sengend heiße
Wolke, die mit gierigen Fingern nach ihnen griff und sie
mit ihrer wütenden Umklammerung zu ersticken drohte.
Hinter diesem formlosen, wabernden Qualm verbarg
sich irgendwo der Brandherd. Instinktiv wich Polly vor
dem Ungeheuer zurück, das da ihr Haus so urplötzlich
verschlang. Und als Polly ihr etwas zurief, klangen seine
Worte wie ein undeutliches Echo aus der Ferne.
»Spring aus dem Fenster! Ich hole Teri!«
Polly erstarrte vor Entsetzen. Sie sah, wie die Tür weiter
aufging und ihr Mann ganz plötzlich in dem Qualm
verschwand.
Die Tür fiel ins Schloß.
Polly wollte ihm nachlaufen, ihm ins Feuer folgen, sich
an ihn klammern und gemeinsam mit ihm das Mädchen
retten. Mechanisch bewegte sie sich auf die Tür zu, doch
in diesem Augenblick hallten die Worte ihres Mannes in
ihr wider.
» Spring aus dem Fenster! «
Ein hilfloses Stöhnen würgte sie. Mühsam schleppte sie
sich zum Fenster und zog es hoch. Sie sog die frische Luft
von draußen ein und sah in die Tiefe.
Die Betonauffahrt zur Garage hinter dem Haus lag fünf
Meter unter ihr. Es gab nichts, woran sie hätte
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