1.000 Euro für jeden
alle
hielten das für eine gute Möglichkeit, die weniger werdende Arbeit auf mehr
Menschen zu verteilen. Ein Grundeinkommen ermöglicht einen freien Blick auf den
anderen, der nicht mehr in erster Linie als Konkurrent um das knappe Gut
dauerhafter Arbeitsplatz gesehen wird, sondern mit dem man teilen könnte. Das
bedingungslose Grundeinkommen ersetzt keine Arbeitsplätze, aber es ermöglicht
sie.
6. Kapitel:
Das Ende der Arbeit ist
der Anfang neuer Arbeit
Arbeit ist Pflicht –
Grundeinkommen
ist Würde
Arbeit ist
ein Menschenrecht. So etwa steht es auch in Artikel 23 der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte: »Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie
Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz
vor Arbeitslosigkeit.«
Doch
das Recht wird in der Praxis ausschließlich als Pflicht interpretiert. Wer in
der DDR nicht arbeiten wollte, wurde als »asozial« geächtet. Laut Paragraph 249
des DDR-Strafgesetzbuches von 1974 wurde bestraft, »wer das gesellschaftliche
Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung dadurch gefährdet, dass
er sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit hartnäckig entzieht, obwohl er
arbeitsfähig ist«. Als mögliches Strafmaß waren Verurteilung auf Bewährung,
Arbeitserziehung oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren vorgesehen.
Wenn
wir im Westen also beeindruckt auf die selbstverständliche Berufstätigkeit der
Frauen in der DDR guckten, die durch ein umfassendes Kindergartenangebot
ermöglicht wurde, ahnten wir nicht, dass es für sie nicht die Entscheidungsfreiheit
gab, sich lieber eine bestimmte Zeit um ihre Kinder zu kümmern, als in
irgendeiner LPG Arbeit fürs Volk zu leisten. Die es dennoch wagten, mussten
Verfolgung durch die Strafbehörden fürchten – auch, dass ihnen das Kind
weggenommen wurde. Das bittere Kapitel der Zwangsadoptionen in der DDR als
Folge des fanatisch durchgesetzten »Rechts auf Arbeit« wird gerade mühsam
aufgearbeitet.
Im
wiedervereinigten Deutschland ist diese Art von Zwangsarbeit zwar nicht im
Strafgesetz verankert, aber die Pervertierung des Rechts auf Arbeit zur Pflicht
steckt sowohl in den Köpfen als auch im Geist von Hartz IV. Wer die
Zwangsangebote der Arbeitsagentur ablehnt, wird durch besonders harte
Sanktionen in die Knie gezwungen, allen voran junge Erwerbslose.
Das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales definiert: »Wenn Sie unter
25 Jahre alt sind und eine zumutbare Arbeit ablehnen, wird Ihre
Regelleistung für drei Monate gestrichen. Gestrichen werden auch die Zahlungen
für Mehrbedarfe und der befristete Zuschlag. Zahlungen für Unterkunft und
Heizung werden in der Regel dann direkt an den Vermieter überwiesen, damit Sie
Ihre Wohnung behalten können. Das Notwendigste zum Leben erhalten Sie in Form
von Sachleistungen (etwa Lebensmittelgutscheine oder Kleidung). Bei einer
wiederholten Arbeitsablehnung entfällt auch die Zahlung von Kosten für
Unterkunft und Heizung an den Vermieter.«
Wer
sich – aus durchaus nachvollziehbaren Gründen – weigert, an
sinnfreien Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen teilzunehmen, dem droht
Obdachlosigkeit. Das weiß auch das Ministerium und mildert etwas ab: »Um
Obdachlosigkeit bei den Jugendlichen zu vermeiden, können die Kosten für
Unterkunft und Heizung jedoch sofort wieder übernommen werden, wenn der
Jugendliche sich nachträglich bereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen.«
Arbeit
ist Pflicht. Wer sich beugt, dem wird gegeben. Wer nicht arbeiten will, muss am
Existenzminimum leben. So weit sind wir damit vom DDR-Umgang mit
»Arbeitsscheuen« im wiedervereinigten Deutschland nicht entfernt. Zwar droht
dem Langzeitarbeitslosen keine Gefängnisstrafe, aber Sanktionen wie sinnlose
Ein-Euro-Jobs, sinnlose Schulungen oder Einkommenskürzungen werden von den so
Bestraften nicht als grundsätzlich anders erlebt. Sie dürfen sich nicht frei
bewegen, müssen jede Art schlechtbezahlter Zwangsarbeit leisten und Details aus
ihrem Privatleben offenlegen. Das ist beschämend und würdelos in einem der
reichsten Länder der Welt. Erwerbslose werden faktisch ihrer Grundrechte
beraubt, die der Staat laut Grundgesetz eigentlich nur im Fall einer Straftat
einschränken darf. Wie gesagt: Hartz IV ist offener Strafvollzug!
Es
lässt sich erahnen, wie sehr ein bedingungsloses Grundeinkommen die psychische
Verfassung der Republik beeinflussen könnte, wenn die Angst so vieler davor
schwinden würde, die Existenz zu verlieren und in eine Falle von
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