1.000 Euro für jeden
Grund sehen, ihre
Situation zugunsten des Einkommens zu verändern, können sich selbständige
Anwältinnen mit zwei Kindern und auch Volljuristen, denen die Studenten
besonders am Herzen liegen, wohl kaum vorstellen.«
Hartz
IV hat die im deutschen Kultursektor übliche Mischung aus Projektbeschäftigung
und temporärer Arbeitslosigkeit zu Lasten derjenigen radikal beschränkt, deren
Beschäftigungsphasen relativ kurz sind. Wenn auf ein Engagement bei einem
Theater, das etwa nur auf ein halbes Jahr befristet ist, eine Phase der
Arbeitslosigkeit folgt, wird der vorherige Verdienst einfach nicht angerechnet.
Weil die dafür erforderliche Mindestzahl an Beschäftigungstagen nicht erreicht
wurde – eine Zahl übrigens, die in Zeiten kurzer Arbeitsfristen so gut wie
nie erreicht wird. Für den Sozialpolitologen und -ökologen Michael Opielka ist
damit eine Grenze erreicht, »unterhalb derer der Glücksgewinn in Existenzangst
umschlägt« und damit Kunstproduktion behindert. Diese Diagnose reicht jedoch
weit über das künstlerische Milieu hinaus. Existenzangst behindert ganz
allgemein darin, einen kreativen Umgang mit dem eigenen Leben zu finden.
Die Vielfalt neuer
Arbeitsformen
Wenn Hannah
Arendt von »der Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgeht«, spricht, dann
meint sie die unselbständige Erwerbsarbeit; produzierende Arbeit, die Rohstoffe
in Güter verwandelt und mit diesen Handel betreibt. Arbeit umfassender
verstanden, im Sinne einer schöpferischen Tätigkeit, als selbständige
Gestaltung, die Arbeit im Sinne von Selbstverwirklichung oder der Schaffung
eines Werks, ist indes nicht verloren, im Gegenteil, sie weitet sich aus.
Leider auch die prekären Lebensverhältnisse, die mit dieser Art von Leben und
Arbeit verbunden sind. Götz Werner nennt das Kulturarbeit und menschenbezogene
Arbeit. Zu der er, neben Fürsorgearbeit, gesellschaftlicher Arbeit, auch die
Arbeit an sich, Bildung, Muße zählt, die man in der »Universität des Lebens«
lernt, in die er gegangen ist, weil er sich eine andere damals nicht leisten
konnte.
Nicht
nur Erwerbsarbeit ist wahre Arbeit. Bevor sich diese banale Erkenntnis
durchsetzt, muss jedoch mit gesellschaftlichen Konventionen gebrochen werden.
Denn wir haben Regeln geschaffen, die dafür sorgen, wie das gesellschaftliche
Vermögen verteilt wird. Dieses Vermögen wird durch die effiziente Herstellung
von Gütern geschaffen. Unser Bruttoinlandsprodukt ist so hoch wie noch nie in
der Geschichte zuvor. Aus diesem Vermögen ziehen wir einen großen Teil heraus
und verteilen ihn als Staatsausgaben wieder an die Steuerzahler – sei es
als Auftrag für den Bau eines neuen Krankenhauses, sei es als direkte
Transferzahlung. Und wir schaffen Regeln darüber, was uns wichtig ist und was
wir uns leisten wollen; wir schaffen Regeln, welche Handlungen erlaubt und
welche verboten sind, und bezahlen Menschen dafür, dass sie auf die Einhaltung
dieser Regeln achten.
So
haben wir zum Beispiel irgendwann einmal beschlossen, dass ein Bibliothekar im
öffentlichen Dienst angestellt wird und monatlich ein festes Salär und eine
angemessene soziale Absicherung bekommt. Und zwar relativ unabhängig davon, ob
dadurch an irgendeiner Stelle in der Produktion mehr oder bessere Güter
produziert werden. Der Bibliothek wird mit ihrem gesammelten Wissen ein
gesellschaftlicher Wert beigemessen, den wir für so relevant halten, dass wir
die darin Beschäftigten bezahlen.
Dasselbe
gilt für die Finanzbeamten. Auch sie produzieren keine Güter, trotzdem leisten
wir uns diese »Staatsdiener«, weil wir eine ordnungsgemäße Finanzbuchhaltung
des gemeinsam erwirtschafteten Vermögens für ausgesprochen wichtig halten. Die
Wichtigkeit unterstreichen wir mit dauerhaft sicheren Bezügen und diversen
Privilegien.
Wir
leisten uns auch MitarbeiterInnen des Ordnungsamtes, die die Einhaltung der
Regeln kontrollieren – etwa die Öffnungszeiten in Ihrem Milchladen oder
den Leinenzwang in öffentlichen Grünanlagen, das korrekte Abstellen von
Fahrzeugen an ausgewiesenen Parkzonen und die pünktliche Meldung eines
veränderten Wohnsitzes.
Auf der
anderen Seite aber haben wir genauso entschieden, dass bestimmte Menschen kein
Geld aus der Gemeinschaftskasse bekommen. Der Ladenbetreiber etwa muss den
Laden auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko betreiben. Für die
Schriftstellerin, die das Buch erst schreiben muss, damit es der staatlich
finanzierte Bibliothekar mit einer Signatur versehen und archivieren kann,
Weitere Kostenlose Bücher