1.000 Euro für jeden
können, die mehr und anderes
sucht als die Verwaltung ihres Mangels. Die mehr will als zu überleben.
»Wovon lebst du
eigentlich?«
Wenn das
19. und 20 Jahrhundert durch Institutionen und institutionalisierte,
langfristige Arbeitsverhältnisse geprägt waren, gilt das 21. Jahrhundert
als eines, in dem befristete, wechselnde Projektarbeit im Vordergrund steht.
Diese Arbeitsform ist schon heute nicht mehr vornehmlich auf die künstlerischen
Tätigkeiten beschränkt. Die Gesellschaft ist aber auf diese offenen,
unabgesicherten Formen der Arbeit noch nicht vorbereitet. Wir werden Wege für gestückelte
Existenzsicherungen finden müssen, hin zu Mischformen von Erwerbsarbeit und
neuen Tätigkeitsformen.
Eine
solche Mischform hat etwa Claudia Möller gefunden, die als Gewerbetreibende
Touristen mit der Rikscha durch Berlin kutschiert, als Selbständige beim
Deutschen Gewerkschaftsbund gegen Honorar Bildungsseminare gibt und als
Leiharbeiterin auf Großveranstaltungen kellnert. Das Erste macht sie aus Spaß,
das Zweite findet sie sinnvoll, das Dritte tut sie wegen des Geldes. In einem
Deutschlandradio-Feature zum Thema Prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse 2006
begründet sie ihre berufliche Mehrgleisigkeit: »Es ist Lust auf Vielfalt und
auf Freiheit und es ist sicher auch aus der Not geboren.«
Tatsächlich
geht es nur selten allein um die Sicherung des eigenen Überlebens, wenn wir
arbeiten. Am deutlichsten ist das bei den Künsten, den kreativen Berufen
allgemein, aber auch beim Sport. Im Frühjahr 2010 plakatierte die Deutsche
Sporthilfe großflächige Stellenanzeigen, in denen sie fiktiv nach BewerberInnen
suchte (hier verkürzt wiedergegeben):
»Wir
suchen schnellstmöglich eine/n Schwimmer/in 200m Schmetterling. Ihre Aufgaben:
Idealerweise vertreten Sie Deutschland bei internationalen Wettbewerben
(Olympische Spiel, Welt- und Europameisterschaften) und platzieren sich auf
Platz 1 bis 3. Ein bis zu dreimaliges Training täglich mit Wochenumfängen von
achtzig Kilometern im Becken (= 1600 Bahnen) ist für Sie obligatorisch.
Anschließende Kraft- und Beweglichkeitsübungen (mind. zehn Wochenstunden) sehen
Sie als zusätzliche Motivation. Ihr Profil: Sie können sich auch bei einer
60-Stunden-Woche mit einem verfügbaren Einkommen von ca. 600 Euro im Monat
ausreichend motivieren, da Sie Ihre Aufgabe als Berufung ansehen. Um für die
Zukunft abgesichert zu sein, verfolgen Sie Ihre berufliche Ausbildung in den
Regenerationszeiten eigenständig und gewissenhaft.«
Um
Aufmerksamkeit zu wecken, wurde hier natürlich überzeichnet. Das Missverhältnis
zwischen leidenschaftlichem Tun und Bezahlung kennen jedoch viele, deren Arbeit
mit hoher Eigenmotivation betrieben wird – und dem Quäntchen Hoffnung,
eines Tages ganz oben in der Liga der Theater, Biennalen, Festivals oder des
Sports zu spielen. Im Vergleich zur Masse der Sportler kassieren nur wenige
Spitzenathleten Millionengagen. Es muss kaum erwähnt werden, dass Sportler
überproportional mehr verdienen als Sportlerinnen. Und von denen, die auf
Förderung angewiesen sind, kommen auch nur 3800 pro Jahr in den Genuss einer
Förderung durch die Stiftung Deutsche Sporthilfe – sie teilen sich die
Jahresausschüttung von zehn bis zwölf Millionen Euro, im Schnitt 3333 Euro pro
Jahr und Kopf.
Die
Künstlersozialkasse (KSK) gibt in ihren letzten Statistiken das
Durchschnittsjahreseinkommen aller bei ihr versicherten Künstler mit 14999 Euro
an, das der Künstlerinnen mit 11355 Euro. Reicher wird hier keiner. Zum
Vergleich: Das Durchschnittseinkommen von ArbeitnehmerInnen lag 2009 bei 27648
Euro brutto. Der Verdienst von Künstlerinnen oder freien Journalisten und
Lektorinnen reicht daher oft nicht für Kranken- oder gar Rentenbeiträge aus.
Die Autoren Jörn Morisse und Rasmus Engler haben für ihr Buch »Wovon lebst du
eigentlich?« zwanzig Kreative über ihre Strategien befragt, sich jenseits von
Festanstellung und Hartz IV über Wasser zu halten. Es sind Nebenjobs in
Callcentern, Aushilfstätigkeiten in der Kneipe oder Taxi fahren, die die
künstlerische Tätigkeit erst ermöglichen.
»Ich
kann mit Armut ganz gut umgehen«, sagt die Schriftstellerin Almut Klotz, und
genauso gelassen geben sich die Musiker der Gruppe »Sport«: »Wir waren schon
immer Prekariat.« Der Autor Rasmus Engler fasst die Haltung der Kreativen
lakonisch zusammen: »Dass es Leute gibt, deren Gehalt unter dem Existenzminimum
liegt und die dennoch viel arbeiten und andererseits keinen
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