Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
Vom Netzwerk:
 
     
     
     
     
    A ls David Pepin zum ersten Mal von der Ermordung seiner Frau träumte, trat er nicht selbst als Täter auf. Er träumte von höherer Gewalt im richtigen Augenblick. Als sie am Strand picknickten, zog eine Gewitterfront heran. David und Alice packten ihre Liegestühle, Decken und alkoholischen Getränke zusammen, und als der erste Blitz am Himmel zuckte, stellte David sich seine Frau vor wie in einem Cartoon, als lebende Fackel mit durchscheinendem Skelett, das schließlich zu einem rauchenden Häuflein Asche zusammenfiel. Er beobachtete, wie Alice schutzlos über die Sandfläche lief. Sie blieb sogar stehen, um die turmhohen Wolken zu bestaunen. »Was für ein Gewitter«, sagte sie. David versuchte, das Schicksal in Gedanken durch seine Hybris herauszufordern: Ich, David Pepin, bin weiser und allmächtiger als Gott, und ich, David Pepin, weiß, dass Gott meine Frau in diesem Moment und an diesem Strand, am Jones Beach , nicht niederstrecken wird. Was Gott dann auch nicht tat. Später, im Auto, als der Regen so dicht wurde, dass sie meinten, in einer Waschanlage zu sitzen, prahlte er mit seiner Göttlichkeit, indem er Alice die rhetorische Frage stellte, ob ein so großer und aufrechter (folglich entblößter) Penis irgendwie anders zu nennen sei als göttlich. Im Schutz des starken Regens, auf dem Vordersitz des Autos, fiel er wild und leidenschaftlich über seine Frau her.
     
    Er träumte unbewusst, er träumte sporadisch. Die Phantasien brachen einfach so über ihn herein. Rief sie von der Arbeit aus an, fragte er: »Ist etwas passiert?« Kam sie zu spät nach Hause, machte er sich übertrieben große Sorgen. Er träumte nach Vergabe ihres Stundenplans. »Fährst du heute mit dem Zug?«, fragte er am Morgen, und Alice antwortete: »Ja, ich fahre mit dem Zug.« Sie wohnten einen Block westlich der Lexington Avenue, wo Alice in die U-Bahn stieg und bis zur 42. Straße fuhr. Im Grand Central Terminal nahm sie den Zug der Metro-North und fuhr dreißig Minuten bis nach Hawthorne, wo sie schwer erziehbare – und teilweise gefährliche – Kinder unterrichtete. Zwischen Aufbruch und Ankunft konnte ja so viel passieren! An der Bahnsteigkante rauften zwei Jungs. Der Zug fuhr donnernd in den Bahnhof ein. Ein versehentlicher Schubser. Alice wirbelte um die eigene Achse und ruderte wild mit den Armen, bevor sie hintüber kippte, und dann war alles vorbei. David zuckte zusammen. Was ging ihm da bloß durch den Kopf? Vom Fenster aus konnte er Alice die Straße heraufkommen sehen. Am Himmel zog ein Helikopter vorüber, und vor dem Neubau an der Lexington wurde ein Stahlträger in die Höhe gewuchtet. David stellte sich vor, er sähe seine Frau zum letzten Mal, er würde dieses Bild ewig in Erinnerung behalten. Er spürte die Trauer in sich aufsteigen und fühlte bereits den tragischen Verlust, so wie ein Kind, das sich den Tod seiner Eltern vorstellt.
    Gewalt durfte keine im Spiel sein. Seine Phantasien unterlagen strengen ethischen Regeln. Er träumte von umstürzenden Kränen und außer Kontrolle geratenen Helikoptern, aber die Todesangst und den Schmerz blendete er jedes Mal aus. Dort unter dem Wrack lag Alice, und sie war sofort tot. Manchmal phantasierte David sich im Augenblick des Todes an ihre Seite. Er hielt ihre Hand, und sie wechselten ein paar letzte Worte, was insbesondere ihr den Abschied erleichterte.
    »David«, sagte Alice, »ich liebe dich.«
    »Alice«, sagte David, »ich liebe dich auch.«
    Und dann wurden ihre Augen glasig.
    Obwohl keine Gewalt im Spiel sein durfte, wurde David hin und wieder zu einem Walter Mitty des Mordens. Er träumte davon, der Täter zu sein. Er tat es. Er erschoss Alice, er knüppelte sie nieder, er erstickte sie mit einem Kissen. Allerdings waren diese Phantasien zensiert; sie blitzten in seinem Kopf auf, brachen jedoch kurz vor dem Finale ab. Es gelang ihm nie, Alice im passenden Moment zu überraschen. Sie erkannte ihn, wenn er mit dem Messer, dem Baseballschläger, der Pistole um die Ecke schlich, ihre Hand krallte sich in den Arm, der ihr das Kissen aufs Gesicht drückte. Die Vorstellung war einfach zu schrecklich.
    »Du Wal!«, schrie er sie an, weil sie unglaublich dick war. »Du gottverdammter Blauwal!« (Sie hatte unter schlimmen Depressionen gelitten, nahm inzwischen aber wieder ihre Medikamente ein.)
    Wenn sie stritten, dann in blinder Wut. Sie waren seit dreizehn Jahren verheiratet, gingen sich aber immer noch regelmäßig an die Gurgel und schlugen

Weitere Kostenlose Bücher