1010 - Das Geheimnis der blutigen Hände
Berge überredet. Für ihn waren die Dolomiten die schönste Gegend auf Mutter Erde. Schon als Kind war er mit seinen Eltern hingefahren und hatte die Berge durchwandert. Er kannte die Geschichten, die man sich über den geheimnisvollen Zwergenkönig Laurin erzählte, und er wußte auch über dessen steinernen Rosengarten Bescheid.
In dieser Welt fühlte er sich wohl, und Larry wollte, daß es seiner Freundin Kim ebenfalls so erging, denn er mochte sie und konnte sich ein Leben ohne sie kaum vorstellen.
Beide stammten aus London, und beide wußten, daß es hoch im Norden der Insel zwar auch Berge gab, die aber mit den Alpen zu vergleichen, wäre schon vermessen gewesen.
Larry hatte Kim vorgehen lassen. Er wußte, wie sie sich quälte, und er wußte auch, daß sie es seinetwegen tat. Also war er ihr sicherlich nicht gleichgültig.
Bis auf die Gipfel wollten sie natürlich nicht steigen. Dort lagen Schnee und Eis einfach noch zu hoch, und deshalb hielten sie sich mehr in den bewaldeten Regionen auf, wo die Luft kühl und feucht war und dabei so frisch roch.
Larry hatte nicht von einer Klettertour gesprochen, sondern mehr von einem Spaziergang. Das mochte bei ihm zutreffen, aber die nicht geübte Kim Grover war doch ziemlich kaputt, bevor sie noch das eigentliche Ziel erreicht hatten. Ein Ort, den Larry Kim unbedingt hatte zeigen wollen.
Allerdings hatte er ihr nicht gesagt, wohin genau er sie führen wollte. Er hatte sich zu allgemein ausgedrückt und von einem unheimlichen Rätsel gesprochen.
Über ihnen war der Himmel nicht dunkel, aber auch nicht richtig hell. Er zeigte ein Fleckenmuster aus Licht und Schatten, denn die Bäume filterten eine Menge an Helligkeit.
Larry hörte Kim keuchen. Manchmal war sie trotz der Profilsohle unter den Schuhen auch abgerutscht, hatte dann wütend geknurrt und war trotzdem weitergegangen.
Das mochte Larry an ihr. Kim war stark. Sie gab nicht auf. Seit einem Jahr arbeitete sie als Erzieherin und hatte es auch geschafft, sich gegen die kleinen Teufel durchzusetzen, die ihr manchmal das Leben zur Hölle machten.
Wieder führte der schmale Pfad in eine enge Kurve. Kim schüttelte den Kopf und schrie leise auf, bevor sie mit der rechten Hand nach einem Ast griff, um sich auf der steilen Strecke halten zu können.
Sie drehte den Kopf. Ihr Gesicht war verschwitzt. Der Mund stand offen. Zischend fuhr der Atem hervor. Sie wollte etwas sagen, aber sie mußte zunächst nach Luft schnappen. Die linke Handfläche wischte sie an ihrer dunkelgrauen Jeanshose ab, die feuchte Flecken bekommen hatte. Einige Blätter waren ebenfalls auf dem Stoff klebengeblieben. Die Jacke hatte Kim ausgezogen und um ihre Hüften gebunden. Das dunkelbraune Haar hatte sie hochgesteckt.
»Alles klar?« fragte Larry Lutz.
Kim wollte lachen. Es klang mehr wie ein Schrei. »Du bist gut. Nichts ist klar.«
»Wieso?«
»Willst du mich foltern?«
»Nein«, erwiderte er erstaunt und meinte es sogar ehrlich. »Wie kommst du denn darauf?«
Mit der freien Hand winkte sie müde ab. »Du hast von einem Spaziergang oder von einer Wanderung gesprochen, aber nicht von einer Tour der Leiden.«
»So schlimm ist es auch nicht.«
»Für mich schon.«
»Dafür ist das Ziel um so interessanter.«
Erst wollte Kim lachen, das brachte sie nicht fertig. Nur ein kratziges Keuchen verließ ihren Mund.
»Das Ziel? Ich weiß nicht mal, wo es sich befindet! Und du hast mir auch nicht gesagt, was wir da oben«, sie deutete in die Höhe, »vorfinden werden.«
»So hoch gegen wir gar nicht, Kim.«
»Wie hoch dann?«
»Nach dieser Kurve kommt noch eine, dann sind wir dort.«
»Ach. Und das soll ich dir glauben?«
»Ich schwöre es.«
Kim überlegte und schaute auf ihren Freund nieder, der etwas tiefer stand als sie. Er war drei Jahre älter als sie, sechsundzwanzig, und arbeitete als Volontär bei einer Zeitschrift, die über mystische Orte auf der Welt berichtete und auch magische Abenteuerreisen anbot. Der ideale Job für Larry, da auch er die geheimnisvollen Orte auf dem Globus liebte. Er hatte durchklingen lassen, daß ihr Ziel hier oben auch etwas damit zu tun hatte.
»Na, glaubst du mir nicht?«
»Jetzt schon.«
»Danke.«
»Quatsch, Mann!«
»Sollen wir die Pause verlängern?«
Kim schaute nach oben, runzelte die Stirn und schüttelte dann den Kopf. »Nein, das ist wohl nicht wichtig«, sagte sie. »Wir können ruhig weitergehen.«
»Es ist wirklich nicht mehr weit. Dann haben wir den Höhenweg erreicht, und
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