1014 - Der Seelenkompaß
auf den Gedanken, daß er irgendwann einmal stolpern würde.
Wir erreichten einen Keller und dort wieder eine Tür. Es war eine unheimliche Umgebung.
Ich wunderte mich über diesen Keller. Wenn ich daran dachte, daß erst ein Schrank hatte zur Seite gerückt werden müssen, so kam mir in den Sinn, daß diese Umgebung der Allgemeinheit unbekannt war. Hier war seit Jahren nicht mehr renoviert oder gekalkt worden. Dunkle Wände, die feucht schimmerten, wobei an einigen Stellen Wasserstreifen entlangliefen.
»Wer kennt den Keller?« fragte ich.
»Nur wenige.« Warren kicherte wieder. »Aber die sind fast alle schon tot.«
»Und hinter dieser Tür liegt Ihr Refugium?«
»Ja.«
Ich ging hin und öffnete sie. Das heißt, ich zog sie vorsichtig auf, denn ich war auf einiges gefaßt und wunderte mich zunächst darüber, daß uns keine Dunkelheit erwartete.
Es war auch nicht hell.
Wer immer die Seelenhalle betrat, er mußte den Eindruck haben, die normale Welt zu verlassen und in ein Zwischenreich zu gelangen, denn über unseren Köpfen schwebte eine ungewöhnliche Decke, die eigentlich keine war, sondern mehr ein Himmel, auf dem sich bläuliche Gestirne abzeichneten.
Wir sahen funkelnde Sterne und Planeten, die als Kugeln in der Luft schwebten.
Es war schon ein seltsamer Raum, in dem sich wirklich nur die wenigsten Menschen wohl fühlen konnten. Jane und ich gehörten nicht dazu.
Ich hatte die Tür so weit geöffnet, daß die beiden eintreten konnten. Zuerst schob sich Phil Warren über die Schwelle. Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein beinahe schon verklärter Ausdruck ab, als hätte er etwas Wunderbares gesehen.
Jane folgte ihm auf dem Fuß. Sie ging nicht so schwebend wie Warren, sie war vorsichtiger, schaute sich sofort um, weil sie, wie ich, mit Gefahr rechnete.
Inzwischen ich hatte mein Kreuz hervorgezogen und es in die Tasche gesteckt. Da lag es griffbereiter, denn ich ging davon aus, daß ich es brauchen würde.
Jane drückte die Tür zu. Sie bewegte sich beinahe lautlos, dann spürten wir beide diese andere Luft, die mit der des eigentlichen Kellers nicht zu vergleichen war.
Sie war reiner, klarer, ganz anders, als wollte sie unseren Körper bis in den letzten Winkel durchströmen.
»Hier ist es«, flüsterte Phil Warren. »Hier ist das Reich, in dem sich die Vergangenheit und die Gegenwart treffen.«
»Meinen Sie?« fragte ich.
»Ja, Sinclair, schauen Sie sich um. Sehen Sie in die Unendlichkeit hinein. Diese Seelenhalle ist einmalig, und ich habe sie entdeckt und übernommen.«
»Aber Sie sind nicht der absolute Chef hier - oder?«
»Nein, das bin ich nicht.«
»Wie heißt der Seelenfresser? Oder hat er keinen Namen?«
»Doch!« rief Warren aus. »Er besitzt einen Namen, der damals schon nur mit großer Ehrfurcht ausgesprochen wurde. Er hieß Kam-El-Baad, und er war ein Hohepriester.«
»Kam-El-Baad«, wiederholte Jane. »Tut mir leid, von dem habe ich noch nie etwas gehört.«
»Ja, weil ihr Ignoranten seid und die wahren Herrscher der Welten nicht kennt.«
Ich wollte mich nicht an dem Gespräch beteiligen, denn ich hatte versucht, innerhalb dieser Halle etwas mehr zu erkennen. Das Licht wurde von den Gestirnen abgegeben. Es war nicht besonders hell, sondern auch schattig.
Im Hintergrund stand ein Gegenstand, den ich für eine große Kugel oder einen Globus hielt.
Warren bemerkte meinen Blick und lächelte. »Was ist mit Ihnen?« fragte er.
»Ich suche den Seelenfresser.«
Seine Augen schienen plötzlich zu leuchten. In den Pupillen tanzte das gleiche Licht wie über uns.
»Sie sind bereits auf der richtigen Spur«, erklärte er mir.
»Ist es der Globus?«
»Globus?« Hätte er die Arme in die Höhe werfen können, er hätte es sicherlich getan. So verdrehte er nur die Augen. »Globus«, wiederholte er, »welch ein profanes Wort für den Seelenkompaß.«
»Für was bitte?« fragte Jane.
»Ja, der Seelenkompaß. Er zeigt an, welche Seelen geholt werden sollen. Er hat mir auch den Weg zu euch gezeigt. Ihr Name, Sinclair, war in flammenden Buchstaben zu sehen, und da wußte ich Bescheid. Der Rest war ein Kinderspiel.«
»Stimmt. Sie gestatten, daß ich mir den Seelenkompaß aus der Nähe anschaue?«
»Könnte ich denn etwas dagegen tun?«
»Nein.«
»Dann gehen Sie hin.«
»Sie kommen mit, Warren!« Um meine Worte zu unterstreichen, faßte ich ihn an der Schulter und schob ihn vor. Er bewegte sich mit unsicheren Schritten. Seiner Mimik war abzulesen, daß er damit nicht
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