1014 - Der Seelenkompaß
denn sie sind es, die ihm die Auskunft geben…« Er war aufgeregt, er verschluckte sich, aber er brauchte uns nichts mehr zu erzählen, denn wir sahen selbst, welche Funktion die Flammen erfüllten. Sie blieben noch innerhalb des Seelenkompasses begrenzt, aber sie veränderten sich.
Die Flammenzungen drängten sich zusammen und wurden zu einer kompakten Masse.
Sie züngelten vor, drehten sich und plötzlich entstanden Buchstaben aus Flammen.
Jane und ich waren fasziniert, und unsere Befürchtung, daß Warren uns angelogen haben könnte, verschwand allmählich, als wir diesem Phänomen zuschauten.
Buchstaben, die in der Luft zirkulierten. Hintereinander tanzten sie vor unseren Augen, und sie waren wirklich nicht einfach zu entziffern. Mit großer Mühe und Konzentration schafften wir es, so daß wir die beiden Worte lesen konnten.
Sie bildeten einen Namen. Vor- und Nachname. Phil Warren!
Plötzlich wußten wir Bescheid. Nicht wir standen auf der Liste des Seelenfängers, sondern der große Diener des Kam-El-Baad, der einfach versagt hatte.
Ich wollte ihn warnen, aber Warren hatte selbst gesehen, was da auf ihn zukam. Als er sprach, brachte er das Wort nur stöhnend hervor. »Soulman…«
Und Soulman kam.
So schnell, daß er selbst uns überraschte. Wir hatten nicht einmal sehen können, welchen Weg er genommen hatte. Er war plötzlich da, sehr nahe - und erwischte Phil Warren.
Für einen winzigen Moment umtanzte ihn etwas Helles. Warren hatte zurückweichen wollen. Es war zu spät für ihn. Er bekam auch seinen Mund nicht mehr schnell genug zu, denn der Schatten war schneller als er und huschte in seinen Mund hinein, um dem Namen Seelenfresser alle Ehre zu machen…
***
»Ich glaube das nicht!« keuchte Jane Collins. »Verdammt noch mal, das ist verrückt, John!«
»Leider nicht.«
Wir wußten nicht, was wir unternehmen sollten. Der Schock hatte auch uns erwischt, und wir schauten in den folgenden vier, fünf Sekunden zu, wie es der Schatten schaffte, sich in den Körper hineinzudrehen und ihn zu entseelen.
Warren schrie!
Es waren keine normalen Schreie, die langgezogen durch diese ungewöhnliche Seelenhalle schallten.
Wie gesagt, es hatte alles Sekunden gedauert. Mochte dieser Mensch sich auch auf die falsche Seite gestellt haben, auch er hatte ein Recht, weiterzuleben.
Ich hetzte um den Seelenkompaß herum und winkte ab, als sich Jane ebenfalls in Bewegung setzen wollte. Es ging um Sekunden. Vielleicht war Warren noch zu retten.
Er taumelte zurück. Dann stieß er gegen eine Wand. Ich war noch einen Schritt von ihm entfernt, als ich etwas aus seinem Mund dringen sah, das den Kopf umtanzte, heller als der Schatten, den wir zuvor gesehen hatten, gegen die Decke fegte und sich dort auflöste. Es sah aus, als wäre er zwischen den Gestirnen im All verschwunden, um nie mehr zurück zu kehren.
Warren war zusammengebrochen. Ich hatte ihn nicht mehr auffangen können. Jetzt erlebte ich das gleiche Phänomen wie bei Larry Silas. Nur mit einem Unterschied. Mich hatte es diesmal nicht erwischt, und ich konnte mich normal bewegen.
Für Phil Warren aber kam jede Hilfe zu spät. Ohne Seele, ohne den eigentlichen Motor, war ein Überleben nicht mehr möglich. Den Preis hatte Warren für seine Experimente zahlen müssen.
Sein Gesicht war zu einer dunklen und wächsernen Maske geworden. Dunkel dort, wo sich der Bart befand, und wächsern weiter oben, bis hin zur Stirn.
»Der Zauberlehrling hat versagt«, murmelte ich, als ich mich aus der gebückten Haltung aufrichtete.
»Wir nicht auch?« fragte Jane. »Ich denke, wir haben zu lange gezögert. Wir hätten ihn retten können, John.«
»Ich weiß es nicht. In der Zelle sah es anders aus. Da bin ich paralysiert worden.«
»Kann ich nachvollziehen.«
»Wieso?«
»Ich hatte auch für einen Moment den Eindruck, mich nicht mehr bewegen zu können. Ich war wie gelähmt, John.« Sie schaute gegen den Himmel und legte mir dabei eine Hand auf die Schulter. »Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe einfach den Eindruck, daß da noch einiges auf uns zukommt.«
»Bestimmt.«
»Wie willst du Soulman fangen«
»Indem ich ihn locke.«
»Und womit?«
Ich drehte mich und deutete auf den Seelenkompaß. »Er allein ist wichtig. Er ist der Weg zum Ziel. Um ihm müssen wir uns kümmern. Wir können ihn nicht so lassen. Kam-El-Baad wird immer wieder Menschen wie Warren finden, die ihn unterstützen, für ihn Nachforschungen betreiben und ihm somit den Weg
Weitere Kostenlose Bücher