1016 - Der Narr aus Venedig
Restaurant hier geöffnet!« erklärte Angela mit fester Stimme. Sie stampfte mit einem Bein auf. »Ja, ich lasse es auf! Ich werde mich diesem Hundesohn nicht beugen. Ich werde mich da durchkämpfen. Wo kämen wir denn hin, wenn wir jeder Erpressung nachgäben.«
»Gut gedacht!«
»Das würde ich auch bei der Mafia so machen, wenn die an mich herantreten würde. Außerdem vertraue ich Ihnen, John, und natürlich Ihren Freunden.«
»Gut, es war Ihre Entscheidung.«
Angela ließ mich stehen und öffnete die Tür des Restaurants. Draußen lag ein wunderschöner Frühlingstag. Selbst in dieser frühen Abendstunde war es noch warm. Der Wind fächerte aus südlicher Richtung. Eigentlich hätten wir schon draußen sitzen und essen können, aber die Tische und Stühle waren noch nicht vor das Haus gestellt worden.
Ich ging durch das Restaurant. Jeder Tisch war gedeckt. Die Ober standen bereit. Sie trugen weiße Hemden, schwarze Hosen und lange, weiße Schürzen. Das Vorspeisen-Büfett war ebenfalls fertig, und das Personal wartete nur auf das Eintreffen der ersten Gäste.
Das geschah dann ziemlich schnell.
Die beiden Conollys tauchten auf. Sie waren zu Fuß gekommen und blieben noch vor dem Lokal stehen, wo sie sich umschauten. Überrascht waren sie, als Suko erschien. Auch er war nicht allein gekommen und hatte Shao mitgebracht. Das hätte ich mir eigentlich denken können. Bevor ich meine Freunde begrüßen und sie Angela vorstellen konnte - zumindest Suko und Shao - trafen andere Gäste ein. Es wirkte wie inszeniert. Auf einmal kamen sie aus allen Ecken und Winkeln. Auto für Auto rollte auf dem Parkplatz aus. Es passierte das, was sich wohl jeder Restaurantbesitzer wünschte. Sein Laden war bis auf den letzten Platz belegt. Da gab es keine freie Ecke mehr.
Sheila sprach mich an. »Wo sitzt du denn, John? An unserem Tisch?«
»Nein. Dort haben Suko und Shao ihre Plätze gefunden. Es wird etwas eng werden, aber das muß man in Kauf nehmen.«
»Hallo, John.«
Shao begrüßte mich. Sie und auch Suko merkten ebenso wie die Conollys, daß ich unter Strom stand. Meine Nervosität war einfach nicht zu übersehen, entsprechend wurde ich angeschaut und um eine Erklärung gebeten.
Ich zog Suko und Bill zur Seite. Shao und Sheila gingen bereits auf den für sie reservierten Tisch zu.
»Hat es weiteren Ärger gegeben?« fragte Bill.
»Indirekt.« Ich berichtete von der Verletzung des Kochs, und Suko stellte direkt die richtige Frage.
»Glaubst du, daß es ein Anfang gewesen ist, John? So etwas wie eine Ouvertüre, bei der das dicke Drama folgt?«
»Ja.« Ich ließ ein älteres Ehepaar passieren, das von Angela besonders herzlich in ihrer Heimatsprache begrüßt wurde. »Drama ist der richtige Ausdruck. Ich kann mir gut vorstellen, daß dieser Narr brutal zuschlägt.«
»Warum?«
»Er muß es tun. Er will die Frauen. Ich weiß nicht, was in seinem Leben alles geschehen ist und wie er gelebt hat. Wahrscheinlich hat er sich den Zauberkünsten hingegeben. Venedig war damals eine sehr reiche Stadt, und die Herrscher, die Dogen, haben sich so einiges einfallen lassen, um ihre Macht zu stärken. Sie haben sich Zauberer, Narren und Scharlatane gehalten, und wir wissen auch, wie sehr sie daran interessiert waren, Blei in Gold zu verwandeln. Viele haben sich mit schwarzer Magie beschäftigt, wie auch immer. Das kann ich mir von Serafin, dem Narren, auch vorstellen. Aber davon mal ganz abgesehen, wir haben es in diesem Fall mit einem Killer zu tun.«
»Einem, der längst tot sein sollte«, fügte Suko hinzu.
»Richtig.«
»Er kann eben keine Ruhe finden«, sagte Bill. »Er lebt in einer Zwischenwelt. Hatten wir das in der letzten Zeit nicht öfter?«
Da mußte ich ihm recht geben.
»Deshalb sollten wir auf jeden Fall auf dieses leise Klingeln achten. Es ist sein Zeichen. Das Klingeln kündet ihn und leider auch das verdammte Messer an.«
»Es ist ein venezianischer Dolch. Sehr wertvoll, denke ich, und er ist im Gegensatz zu Serafin existent - dreidimensional, kein Geist wie der Narr selbst. Er kann plötzlich auftauchen, so daß wir das Nachsehen haben.«
»Dann hätte das Lokal geschlossen werden müssen!« flüsterte Suko.
»Darüber habe ich mit Angela Morinelli gesprochen, aber sie wollte sich nicht beugen.«
»Wenn das mal kein Fehler war…«
Ich hob die Schultern und enthielt mich einer Antwort. Suko und Bill gingen zu ihren Plätzen. Sheila sprach mit Shao. Sie hatten bereits ihre Aperitifs vor sich
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