1049 - Der Geist des Vaters
jemand melden? Wer und in welcher Gestalt würde mir jemand einen Besuch abstatten?
Ich konnte überhaupt nichts sagen, weil ich es einfach nicht wußte. Ich bewegte mich in einem luftleeren Raum und kam mir selbst vor wie über der Sitzfläche des Sessels schwebend.
Es blieb still.
Bei mir meldete sich der Durst. Das Wasser würde auch den schlechten Geschmack aus meinen Mund vertreiben. In der Küche gab es noch genug zu trinken.
Aufstehen, hingehen und das Wasser holen.
Das Telefon hielt mich davon ab. Sein Klingeln kam mir überlaut vor. Ich hatte damit nicht gerechnet, erschreckte mich und ließ erst dreimal durchläuten, bevor ich abhob. Gespannt darauf, wer mich um diese Zeit anrief…
***
Terence Bull hatte Sugars Arm in Höhe des linken Ellbogens umfaßt und schob den jungen Mann, der sich kaum selbst auf den Beinen halten konnte, zurück in sein Büro. Er schloß die Tür, während Sugar auf seinen Stuhl zuging und dabei ziemlich schwankte. Schwerfällig ließ er sich auf die Sitzfläche fallen.
Sugar war fertig. Er würde sich auch nicht so leicht mehr fangen können. Einen Menschen lebend zu sehen, dessen Tod er miterlebt hatte, ging über seine Kräfte, und so heulte er Rotz und Wasser.
Nicht aus Trauer, mehr aus Furcht.
Bull nahm aus einer seiner Schreibtischladen einige Papiertaschentücher und warf sie Sugar zu.
»Los, die kannst du gebrauchen. Putz dir deine Nase und wisch dein Gesicht sauber.«
Sugar gehorchte wie ein kleiner Junge. Er sprach dabei vor sich hin, doch niemand konnte seine Worte verstehen. Wahrscheinlich er selbst auch nicht.
Der Konstabler saß wieder hinter dem Schreibtisch, den Blick auf die Platte und zugleich ins Leere gerichtet. Durch seinen Kopf fuhren zahlreiche Gedanken. Sie waren nicht gradlinig, sondern bildeten einen Zickzackkurs. Für ihn war der Fall noch nicht beendet, das hatte man ihm auch zu verstehen gegeben. Der angeblich Tote machte weiter und würde seinen Plan nie und nimmer aufgeben, und Bull wußte ja, wohin er sich gewandt hatte.
Zum Haus der Sinclairs. Zu einem leeren Haus hin oder zu einem, in dem sich jemand aufhielt?
John Sinclair war in der Nähe. Er hielt sich möglicherweise auch in seinem elterlichen Haus auf. Da heißt, dann mußte er zurückgekehrt sein.
»Was sollen wir denn jetzt tun?« flüsterte Sugar mit tonloser Stimme. »Ich weiß es nicht mehr.«
Aus verquollenen Augen schaute er den Konstabler an.
Bull hob die Schultern. »Es ist nicht einfach, ich weiß. Wir haben es hier nicht mir normalen Verbrechern oder Gangstern zu tun, das weiß du selbst.«
»Am liebsten würde ich abhauen.«
Bull schüttelte den Kopf. »Das ist keine Lösung. Durch Abhauen oder Flucht ist noch nie ein Problem erledigt worden.«
»Aber was sollen wir denn tun?« rief Sugar schon verzweifelt.
»Wir werden etwas tun, mein Junge. Das heißt, ich werde etwas tun.«
»Und was?«
»Anrufen.«
»Wo?«
»In dem Haus, das ihr euch für euren verdammten Einbruch ausgesucht habt.«
Sugar kratzte über seine linke Wange hinweg. »Warum wollen Sie das denn? Ich weiß nicht, es ist doch - ja, leer, nehme ich an.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
»Sinclair?«
Der Konstabler nickte. »Genau er. Es könnte durchaus sein, daß wir ihn dort finden. Wenn ja, dann mußt er einfach Bescheid wissen. So denkst du doch auch, nicht wahr?«
»Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich denken soll!« stieß Sugar hervor. »Ich bin völlig von der Rolle.«
»Kann ich verstehen.«
»Sie nicht?«
Der Konstabler hob die Schultern. »Frag lieber nicht näher. Aber ich habe schon einige Jahre mehr auf dem Buckel als du, mein Junge. Da habe ich schon Pferde kotzen sehen, wie man so schön sagt. Jedenfalls dürfen wir uns nicht zu stark von unseren Gefühlen leiten oder ablenken lassen, sonst gehen gewisse Dinge wirklich voll in die Hose. Ich rufe an. Sollte ich Glück haben, muß John Sinclair einfach wissen, was hier abgelaufen ist.«
»Und was ist dann?«
Der Polizist lachte, obwohl ihm nicht danach zumute war. »John Sinclair ist der einzige, der auch mit einem lebenden Toten fertig wird. Nico wird von ihm das bekommen, was ihm zusteht.«
»Obwohl er mit einer anderen Stimme gesprochen hat?«
»Leider ist das unser großes Problem. Wenn John einen Fremden mit der Stimme seines verstorbenen Vaters reden hört, wird auch ihn das schocken. Das kann ich ihm nicht ersparen. Es ist besser, wenn er auf die Begegnung vorbereitet ist. Was dann geschieht, ist allein
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