105 - Das indische Tuch
Patronen sehen.«
Nachdem er sie genau betrachtet hatte, gab er sie Totty zurück.
»Eine ziemlich grobe Schrotladung. Ungewöhnlich für einen Parkwächter. Die Sachen gehören natürlich Tilling. Vermutlich klärt es sich so auf: Er saß dort und beobachtete von der betreffenden Stelle aus sein Haus. Ich kann mir ja denken, nach wem er Ausschau hielt. Aber dann ist etwas passiert, was ihn veranlaßte, sein Gewehr und seine Pfeife wegzulegen. Was mag das nur gewesen sein?«
»Ich habe den Parkwächter holen lassen«, erklärte Totty.
Tanner nickte.
»Ich möchte wegen der Zigarette noch etwas sagen, Totty. Es ist klar, daß Gilder seine Geschichte erzählte, um Ihnen zuvorzukommen. Mit dem Mann ist nicht zu spaßen, er ist ungewöhnlich mutig und unerschrocken. Und er ist nicht allein damit zufrieden, daß er selbst ein Alibi hat, er sucht auch noch Lady Lebanon in Schutz zu nehmen. Sie muß das Haus verlassen haben, als sie von dem Mord hörte, und das war lange vor Auffindung des Toten. Aber warum ist sie nicht dort hingegangen, wo der Tote lag? Warum ging sie zu einer Stelle fünfzig Meter weiter südlich? Daraus kann man folgern, daß sie nicht wußte, wo sich die Leiche befand. Sie glaubte, sie würde den Toten weiter südlich finden.
Nun fragt sich nur noch, ob Gilder zur Stelle war. Ich glaube nicht, wenigstens hat sie ihn nicht getroffen. Vielleicht kam er später dazu, vielleicht war er auch dauernd in der Gegend, ohne daß sie etwas davon wußte. Ich bin sehr gespannt, was Tilling sagen wird.«
Es gab drei verschiedene Telefonanschlüsse in Marks Priory, während Tanner zuerst angenommen hatte, eine Zentrale mit einem Schaltbrett zu finden.
Ein Apparat stand in Kelvers Zimmer; dorthin ging Tanner, ließ sich mit Scotland Yard verbinden und sprach mit einem seiner Beamten.
»Ich brauche dringend eine Liste von allen Zügen, die um sechs Uhr dreißig abgehen und um acht Uhr drei ankommen, ferner eine List mit Zügen, die um zehn Uhr morgens abgehen und am nächsten Abend oder am nächsten Morgen um zehn Uhr fünf ankommen. Die Abgangsstationen weiß ich nicht, die müssen Sie selbst herausfinden.«
Was hatte Lady Lebanon nur vor? Wohin wollte sie fahren, als sie den Mord entdeckt hatte? Der Tote war erst kurz vor elf aufgefunden worden, aber die Tat mußte etwa zwölf Stunden vorher geschehen sein. Wollte sie Marks Priory verlassen? Das sah der Frau eigentlich nicht ähnlich.
Er war auf dem Rückweg zur Halle, um Lady Lebanon danach zu fragen, als ihm Totty etwas Erstaunliches mitteilte.
»Tilling ist nicht in Marks Thornton! Heute morgen ist er abgefahren, und niemand weiß wohin.«
Tanner horchte auf.
»Weiß auch keiner der Dienstboten darüber Bescheid?«
»Nein. Mit dem jungen Lord habe ich gesprochen, aber der hatte ja im allgemeinen wenig mit Tilling zu tun. Ich bat ihn, seine Mutter zu fragen, aber sie kann das Verschwinden Tillings auch nicht erklären.«
Tanner überlegte.
»Wer hat Ihnen denn erzählt, daß Tilling heute morgen fortgefahren ist?«
»Seine Frau. Wirklich eine liebenswürdige junge Dame«, erwiderte Totty und rückte seine Krawatte gerade.
»Fallen Sie bloß nicht auf sie herein, wenn sie liebenswürdig wird. Ich muß sie selbst sprechen – ist sie hier?«
»Nein. Ich sagte ihr, sie möchte zum Schloß kommen, aber sie wollte nicht. Meiner Meinung nach weiß sie ziemlich viel. Sie ist genauso nervös und aufgeregt wie Miss Crane.«
»Ist die aufgeregt? Woher wissen Sie denn das?«
Totty verzog den Mund.
»Ferraby tut, was er kann, um sie zu beruhigen, aber er hat nicht viel Erfolg.«
»Zeigen Sie mir den Weg zu Tillings Haus.«
Tanner konnte sich auf die Frau gut besinnen, obwohl er sie nur einmal gesehen hatte. Ihr Gesicht war bleich und eingefallen, als ob sie in der vergangenen Nacht nur wenig geschlafen hätte. Ängstlich sah sie den Chefinspektor an und zögerte einen Augenblick, aber dann bat sie ihn mit heiserer Stimme, näher zu treten. Er folgte ihr in das hübsche, kleine Wohnzimmer.
»Sie kommen wegen Johnny? Ich weiß nicht, wo er ist. Heute morgen ist er fortgegangen.«
»Wohin denn?«
»Ich habe keine Ahnung … Er hat mir nicht viel gesagt.«
»Wann kam er in der Nacht nach Hause?«
Sie zögerte wieder.
»Es war sehr früh am Morgen. Er kam und ging dann wieder, das ist alles, was ich weiß.«
Tanner lächelte freundlich.
»Also, Mrs. Tilling, sagen Sie ruhig, was Sie wissen, und geben Sie sich nur nicht zu große Mühe, es mir zu
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