1052 - Die Nekropole
lässig betrat ich den Raum, sondern relativ gespannt. Was mich dazu trieb, wußte ich auch nicht. Es war so etwas wie mein inneres Alarmsystem, das anschlug.
Im Zimmer hielt sich niemand auf. Zumindest hörte ich nichts Entsprechendes. Allerdings stand die Tür zum Balkon hin offen. Ich wußte nicht mehr, ob Suko sie geschlossen oder offengelassen hatte.
Verdammt ärgerlich.
Da die Dusche der Zimmertür am nächsten stand, schaute ich dort zuerst nach.
Da hatte sich nichts verändert. Es hielt sich auch niemand in diesem, nach Putzmittel riechenden Raum auf. Die nächsten Schritte brachten mich in das normale Zimmer.
Mein Gefühl wurde nicht besser. Im Gegenteil, ich war wie elektrisiert. Den Grund sah ich eine Sekunde später. Da hatte ich einen Blick auf das Bett geworfen.
Die Decke in der einen Hälfte war zurückgeschlagen worden. Darunter hatte der tote Junge gelegen.
Jetzt nicht mehr.
Er war verschwunden!
Ich saugte den Atem hörbar durch die Zähne ein. Dieses Zischen endete in einem ausgesprochenen Fluch. Ich hatte es einfach im Gefühl gehabt, eine Veränderung zu erleben, aber dieser Treffer war schon verdammt hart.
Neben dem Bett blieb ich stehen. Die Kindermumie war verschwunden, der Staub allerdings nicht. Er verteilte sich nach wie vor auf dem Bezug, als hätte jemand Puder verstreut.
Irgendwelche Schleifspuren sah ich nicht. Man hatte den toten Jungen einfach aus dem Bett gehoben.
Oder war er von selbst gegangen? Hatte ich es bei ihm mit einem uralten Zombie zu tun? Besser gesagt, mit einem Zombie-Kind. Es war alles möglich in diesem verzwickten Fall, der mir immer mehr vorkam, als würden wir ihn nur am Rande erleben, wobei es wichtig war, endlich ins Zentrum vorzustoßen.
Diesmal überwand ich meine Überraschung schnell und betrat den Balkon. Ich blieb an der Brüstung stehen. Automatisch suchte ich die nähere Umgebung ab, in der jedoch nichts zu sehen war. Ich blickte auch nach unten und dabei dicht an der Hauswand entlang, aber auch dort waren keine Spuren zu sehen.
Im Garten ebenfalls nicht und weiter vorn, in Richtung der alten Stätten, flirrte die Luft unter den hellen, scharfen Sonnenstrahlen.
Die Ruinen waren nicht zu sehen, dafür natürlich ein Teil der Altstadt mit ihren Häusern, die dicht beisammen standen, und deren Dächer von den schlanken Türmen der Minarette überragt wurden.
Ich verkrampfte meine Hände um den runden Handlauf. Wer, zum Teufel, hatte den Jungen geholt, falls er das Hotelzimmer nicht selbst verlassen hatte? Und warum hatte man ihn uns erst präsentiert? Mir fiel ein, daß sich La Roche und ein Hotelangestellter sehr intensiv unterhalten hatten. War dieser Angestellte eventuell von La Roche in das Zimmer hier geschickt worden, um den Jungen verschwinden zu lassen?
Es gab viele Möglichkeiten, das war nur eine davon. Von jetzt an würde ich ein noch wachsameres Auge auf La Roche halten, das nahm ich mir vor.
Bevor ich das Zimmer verließ, schloß ich die Tür zum Balkon. Es war zwar keine absolute Sicherheit, aber ich fühlte mich so etwas wohler.
Abermals machte ich mich auf den Weg nach unten, und wieder nahm ich die Treppe.
Hamed La Roche und Suko standen noch in der Halle. Sie unterhielten sich und entdeckten mich nicht sofort. Erst als ich in ihrer Nähe war, lachte mich der Tunesier an.
»Ah, da sind Sie ja, Monsieur Sinclair. Können wir los?«
»Meinetwegen. Nehmen wir Ihren Wagen oder…«
»Nein, nein, kein Auto. Das steht hier gut. Salambo ist eine Stadt, die man zu Fuß erkunden muß. Erst dann kann man auch ihre verborgenen Schönheiten genießen.« Er wirkte richtig begeistert. »Ich darf dann vorgehen, die Herren?«
»Gern, tun Sie das.« La Roche ging auf den Ausgang zu. Ich gab ihm einige Schritte Vorsprung und hielt Suko noch zurück.
»Was ist denn?«
»Der Junge ist weg!«
Suko hatte sich gut in der Gewalt. Nur für einen winzigen Moment weiteten sich seine Augen. »Weißt du, wer…«
»Nein, überhaupt nicht. Aber La Roche könnte indirekt seine Finger im Spiel haben.«
»Ist schon okay.«
Das Thema war zunächst für uns tabu. Wir sahen zu, daß wir La Roche einholten und hatten es dicht unter der Hoteltür geschafft.
Der Tunesier hatte seine gute Laune nicht verloren. Er lächelte in den Sonnenuntergang hinein. »Ist das nicht ein wunderbarer Tag, um einen kleinen Gang durch die Stadt zu unternehmen?«
»Da haben Sie recht.«
»Dann kommen Sie. Und versuchen Sie, die Sorgen um den Fall zu vergessen. Dafür
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