1052 - Die Nekropole
an.
»Irgendwie schon, aber sprich weiter.«
»Gut. Um es mit einem Satz auf den Punkt zu bringen. Man hat uns eine Mumie ins Bett gelegt.«
»Eine Kindermumie.«
»Genau.«
»Eine aus den gefundenen Gräbern, meinst du? Und eine, die noch verdammt gut erhalten ist.«
»Ich schließe mich dir an, John. Der Junge muß sehr alt sein, aber er ist unwahrscheinlich gut erhalten. Bis auf die hauchdünnen Risse sehe ich keine weiteren Verletzungen an seiner Haut. Das ist schon einmalig, finde ich.«
Damit hatte er auch meine Meinung bestätigt. Ich war ebenfalls der Ansicht, es hier mit einer Kindermumie zu tun zu haben.
Wahrscheinlich hatte man sie aus den alten Phönizier-Gräbern geholt und in unser Hotel gebracht.
»Warum hat man das getan?« murmelte ich vor mich hin. »Abgesehen davon, daß man über uns bereits Bescheid weiß? Was könnte der Grund gewesen sein?«
»Ich weiß es nicht, John. Im Prinzip sind wir unserem Fall treu geblieben. Schon in London ging es um ein verschwundenes Kind. Hier liegt eines vor uns, auch wenn es nicht mit einem Sammy Cobin zu vergleichen ist. Aber es ist da.«
»Außerdem so perfekt erhalten«, sagte ich. »Wenn man den Faden weiterspinnt, dann müssen wir uns fragen, ob es noch mehr dieser gut erhaltenen Kindermumien gibt. Wenn ja, dann werden wir sie in den alten Gräbern finden.«
»Und bei Baal, John, dem man die Kinder geopfert hat. Damals schon. Möglicherweise viel schlimmer als heute. Aber im Prinzip hat sich wohl nichts geändert.«
»So sehe ich das auch«, gab ich zu. »Jedenfalls wissen wir schon jetzt, daß unsere Reise nach Tunesien nicht umsonst gewesen ist. Hier spielt die Musik.«
Ich packte einen Zipfel der Decke und breitete sie wieder über den Jungen aus. »Haken wir den Fund erst einmal ab. Vergiß nicht, daß wir mit Hamed La Roche verabredet sind.« Diese Person war unser Kontaktmann hier in Tunesien. Er arbeitete offiziell für die Regierung. Wir beide konnten ihn nicht so recht einschätzen. Er war nett und hilfsbereit, alles okay, aber wie er wirklich dachte, wußten wir nicht. Nach diesem Fund hatten wir erst recht einen Grund, keinem in der unmittelbaren Nähe zu trauen. Jeder konnte ein Feind sein – jeder.
»Du willst keine weitere Untersuchung starten und es mal mit dem Kreuz probieren?«
»Nein, das lasse ich bewußt. Ich bezweifle auch, daß es etwas bringt. Erst einmal möchte ich diesen Jungen als Beweis hier im Hotelzimmer versteckt lassen.«
»Was ist mit La Roche? Sollen wir ihn einweihen?« Suko lächelte so markant, daß ich seine Antwort schon im voraus wußte. Ich schloß mich ihr an. »Nein, wir werden La Roche nichts sagen. Kann ja sein, daß er uns indirekt darauf anspricht.«
»Okay, John, wir werden ihn genau beobachten.«
»Nicht nur ihn. Auch im Hotel müssen wir die Augen offen halten. Irgend jemand hat den Jungen in unser Bett gelegt. Ich könnte mir vorstellen, daß er auch in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Hotelpersonal steht. Der Bau hier liegt relativ nahe an den alten Fundstätten. Da wäre dies nicht mal so ungewöhnlich.«
»Abgemacht. Aber wir gehen nach unten. Was sagt die Uhr?«
Ich schaute auf das Zifferblatt. »Die Zeit ist so gut wie vorbei.«
Suko lächelte breit. »Dann wollen wir mal. Ich bin gespannt, was uns La Roche noch alles zu präsentieren hat…«
Unten in der Halle hatte sich nichts verändert. Kein großer Trubel oder Betrieb. In diesem Monat Februar erlebte das Hotel noch ruhige Zeiten.
Wir schauten uns nach La Roche um. Er saß nicht in einem der Korbsessel, sondern stand an der Rezeption und sprach mit einem Angestellten. Suko und mich hatte er noch nicht gesehen, wir aber sahen ihn und konnten ihn beobachten.
Die beiden Männer schienen sich zu kennen. Zwar flüsterten sie nicht miteinander, aber normal laut redeten sie auch nicht. Zudem hatte sich La Roche vorgebeugt. Der Angestellte hörte ihm gespannt zu, wobei er hin und wieder nickte.
»Was denkst du jetzt, Suko?«
»Alles mögliche.«
»Wie ich.«
»Einen konkreten Verdacht haben wir nicht. Da müssen wir schon vorsichtig sein.«
Das Gespräch der beiden Männer war auch rasch beendet. La Roche drehte sich von der Rezeption weg und warf dabei einen Blick auf seine Uhr. Die halbe Stunde war vorbei. Er wartete auf uns, und wir taten ihm auch den Gefallen. Suko blieb noch einen Augenblick stehen. Zuerst löste ich mich aus der Nähe des Springbrunnens und tat so, als wäre ich gerade eingetroffen, um La Roche
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