1065 - Die Blutquellen
befinden. Im Kopf hämmerten die Schmerzen, als wollten sie mir eine Botschaft schicken. Ich wußte, daß ich auf einem Stuhl saß, dabei die Augen weit offenhielt, nach vorn und nach unten schaute und etwas Schreckliches gesehen hatte, das mir übermittelt worden war.
Dumpf und schwer fühlte ich mich. Wie jemand, der einfach nur auf der Stelle hockt und nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll.
Mich hatte etwas ge- und umfangen. Aber ich hörte wie aus einer sehr weiten Entfernung eine Stimme.
»John… he… John…«
Jemand rief mich. Verdammt, ich wollte es nicht. Ich mußte jetzt allein mit mir und meinen schrecklichen Erinnerungen sein. Doch die Stimme ließ nicht locker. Sie rief mich weiter. Sie drängte sich in mein Bewußtsein hinein und hatte sich längst zu einem Quälgeist entwickelt. So war ich schließlich gezwungen, mich damit zu befassen und hob sehr langsam den Kopf an.
Ich öffnete auch die Augen.
Alles ging langsam, wie zeitverzögert. Ich wollte ja sehen, ich mußte es auch tun, aber es war so schwer und auch von den verdammten Erinnerungen belastet.
Erst nach und nach fand ich mich wieder in der normalen Welt zurecht. All das, was ich zuvor gesehen hatte, war verschwunden. Es gab den Schrecken nicht mehr, die Düsternis, das Blut, den Mann, das Tor und auch nicht den Riesen.
Statt dessen spürte ich das leichte Brennen in meinen Augen, was nicht daran lag, daß mir Schweiß hineingelaufen war, sondern an der Lichtquelle an meiner rechten Seite, deren Helligkeit mich in Schwierigkeiten brachte.
»John, verdammt, komm endlich zu dir!«
Die Stimme hörte ich deutlicher. Ich wußte auch, daß mein Freund Bill Conolly gesprochen hatte.
Er tat etwas. Er berührte meine Hand und murmelte einige mir unverständliche Worte, bevor er mir etwas aus den Fingern nahm.
Ich ließ alles mit mir geschehen, weil ich noch immer zu sehr unter den Eindrücken des furchtbaren Geschehens stand. Nur allmählich arbeitete sich mein normales Denken vor. Auch das Licht brannte nicht mehr so stark in den Augen.
Es gelang mir, den Kopf anzuheben. Vor mir war jemand. Eine Gestalt, ein Kopf, ein Gesicht, noch verschwommen. In diesem Gesicht bewegte sich der Mund.
»Verdammt, John, was ist nur los gewesen? Du bist ja völlig weggetreten…«
Ich gab keine Antwort.
»Was ist mit dem Dampf, John? Er quoll auf. Das Blut auf deinem Kreuz, verstehst du nicht?«
Jetzt war ich in der Lage, eine Antwort zu geben. »Ja, ich verstehe. Ich verstehe dich, Bill. Aber ich kann es dir nicht sagen, noch nicht.«
»Gut, warten wir. Möchtest du etwas trinken?«
Ich nickte. Es war eine gute Idee. Meine Kehle fühlte sich tatsächlich sehr trocken an. Vor mir bewegte sich Bill. Er stand auf. Ich sah ihn noch immer wie einen Schatten, der sich in die Höhe drückte.
Er ging. Ich hörte seine leisen Schritte. Etwas klirrte. Wenig später war er wieder bei mir. Ein mit Wasser gefülltes Glas geriet in mein Blickfeld.
»Los, das wird dir guttun.«
Meine Hände zitterten, als ich das Glas anhob. Dann trank ich das kühle Wasser in kleinen Schlucken und starrte dabei über das Glas hinweg ins Leere, den Kopf noch immer voller Gedanken und Erinnerungen.
Alles war so nah. Trotzdem verlor es sich in der Weite meiner eigenen Blicke. Ich hatte den Tod gesehen. Einen Tod auf besonderes schreckliche Art und Weise.
Aber ich wußte auch, daß dieser Tod, so wie er sich gezeigt hatte, mir nicht fremd gewesen war. Ich hatte ihn schon einmal erlebt, nur anderes als bei diesen furchtbaren Bildern. Das jedoch lag schon eine Weile zurück.
Das Glas war leer. Ich stellte es weg.
»Noch einen Schluck?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Fühlst du dich jetzt besser?«
»Es geht, Bill. Ich muß noch alles…«, ich zuckte die Achseln. »Es war einfach zu schlimm und hat mich auch zu plötzlich getroffen.«
»Es lag an deinem Kreuz und dem Blut, nicht wahr?«
Bill erhielt keine Antwort. Seine Frage hatte mich auf einen Gedanken gebracht. Ich brauchte nur den Kopf zu senken, um das vor mir liegende Kreuz zu sehen.
Mit der Rückseite lag es auf der Schreibtischplatte. Es sah aus wie immer, abgesehen von einer Kleinigkeit. In seiner Mitte war es nicht mehr so klar und sauber wie sonst.
Dort sah ich einen leicht rötlichen Film, der sich genau über den Kreuzpunkt der beiden Balken gelegt hatte. Dorthin war der Tropfen Blut gefallen. Es hatte gezischt, dann war der Rauch entstanden, der gegen mein Gesicht gestiegen war.
Für mich war er
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