1080 - Hexenwald
hin zu den Händen.
Das Wasser reichte der Frau nur bis zu den Knien, und so war auch das zu sehen, was sie in der rechten Hand hielt.
Es war eine aus schweren Gliedern bestehende Kette. Als sie die Hand bewegte, klirrten die einzelnen Glieder mit dumpfen Tönen gegeneinander. Die nackte Frau mit den schwarzen, am Kopf klebenden nassen Haaren zog die Kette noch mehr aus dem Wasser hervor und wühlte dabei den Untergrund auf. Schlammpartikel stiegen in die Höhe und machten den See an dieser Stelle undurchsichtig, aber sie verbargen nicht das, was die seltsame Frau aus dem Wasser holte und das mit dem Ende der alten Kette verbunden war.
Die nasse und halbverweste Leiche eines Menschen…
***
Harry Stahl mußte beim Anblick der Schule lächeln. Sie erinnerte ihn an die Bauten in der ehemaligen DDR, denn hier war äußerlich nichts modernisiert oder neu gebaut worden. Kein Glas, kein Beton, dafür alte Backsteine, aus denen die Schule errichtet worden war, die inmitten eines Hofs stand, der von einer kantigen Mauer umgeben war. Auf dem Schulhof standen die alten Platanen wie Wächter aus der Vergangenheit. Als wollte sie irgendwann einmal über all die Schüler reden, die sie im Laufe langer Jahre kommen und gehen gesehen hatten. Für eine Weile vergaß Harry seine eigene Situation und auch seinen Beruf. Er ließ sich gern hineinziehen in die Zeiten der Vergangenheit, als er noch Kind gewesen war. Ein bißchen zumindest war davon noch hinübergerettet worden, was er nicht falsch fand.
Überhaupt schien die Zeit stehengeblieben zu sein. Der kleine Ort in der Eifel, malerisch, verwinkelt. Die Häuser, von Generation zu Generation vererbt, erzählten etwas von der Geschichte, die auch über die Eifel hinweggebraust war. Hier hatten die Menschen immer hart arbeiten müssen, und viele waren sehr früh in den Bergwerken gestorben, um die Familien in oft bitterer Armut zu hinterlassen.
Die Zeiten waren vorbei. Jetzt lebte man vom sanften Tourismus, und wer andere Arbeit fand, der pendelte in die großen Städte wie Aachen, Köln oder Bonn.
In der linken Hand hielt Harry ein Foto von Jens Küppers. Er hatte es sich besorgt und wollte mit dem Jungen einige Worte reden, denn er war die einzige Spur. Daß er bereits wieder in die Schule ging, bewies Harry, daß er seiner. Schock überwunden haben mußte. Kinder waren da oft besser dran als die Erwachsenen.
Für einen Moment dachte er an die Leiche, die in den Labors des BKA zur Untersuchung lag und den Wissenschaftlern dort sicherlich Rätsel aufgeben würde.
Bei ihr hatte sich ein Mensch mit der Natur verbunden oder war von ihr eingenommen worden. Das konnte alles mögliche bedeuten, nur eine normale und logisch nachvollziehbare Erklärung fand Harry Stahl für diesen Vorgang nicht. Es mußten eben andere Kräfte mit im Spiel sein. Harry Stahl war hier, um sie zu finden.
Man brauchte ihn eben, wenn man einen gewissen Punkt erreichte, an dem man nicht weiterkam. Da waren den normalen Ermittlungsmethoden Grenzen gesetzt. Harry wußte sehr wohl, daß auch dieser Fall ihm große Probleme bereiten konnte.
Er wurde aufgeschreckt, als er die Klingel hörte. Es war Mittag. Ende der Schulstunden, und er rechnete damit, daß die Kinder aus dem Bau strömen würden, wie es auch in den vergangenen Jahren gewesen war.
Es trat so ein, wie er es sich vorgestellt hatte. Die breite Tür wurde aufgestoßen. Vorbei war es mit der Ruhe. Noch immer freuten sich die Kinder, wenn sie diese Stätte verlassen konnten. Dementsprechend laut wurde es auch. Allerdings nur die Benutzer der unteren Klassen benahmen sich so.
Die älteren gaben sich cooler. Sie wollten mit den Kleinen nichts zu tun haben.
Harry stieg aus. Das Foto nahm er mit. Es war nicht einfach, sein Zielobjekt zu sehen. Jens war Dreizehn, und Harry Stahl ging davon aus, daß der Junge nicht wie ein Wilder aus der Schule rennen würde. Er hatte recht. Die etwas älteren gingen langsamer. Allerdings boxten und schubsten sie sich ebenfalls. Auch Jens Küppers zählte zu der Gruppe. Er trug eine Kappe auf dem Kopf und hatte den Schirm nach hinten gedreht, aber er hielt sich etwas abseits. Deshalb sah ihn Harry auch genauer. Der Junge wirkte auf ihn recht ernst und schien in Gedanken versunken zu sein.
Harry Stahl schnitt ihm den Weg ab. Vor der Mauer stand er plötzlich neben ihm.
»Jens Küppers?«
Der Junge schaute Harry an. »Ja, wieso und warum?«
»Ich möchte mit dir reden.«
»Ich nicht mit Ihnen. Woher haben Sie
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