1080 - Hexenwald
den Jungen zugeschwemmt war.
Jens lieferte sogar eine Beschreibung, und sie stimmte mit der überein, die Harry auf den Fotos gesehen hatte. Abschließend wollte er wissen, was Harry tun wollte und ob der Tote schon identifiziert war.
»Nein, das nicht. Hier hat ihn auch niemand gekannt - oder?«
»Er war fremd. Vielleicht ein Urlauber, der sich verirrt hat. Es waren ja noch welche da, bevor das Wetter umschlug und der große Regen kam. Sie sind alle wieder gefahren.«
»Das ist möglich.«
Jens Küppers brannte eine Frage auf dem Herzen. Er schaffte es endlich, sie zu stellen. »Was… was wollen Sie denn jetzt tun, Herr Stahl? Fahren Sie wieder weg oder…«
»Nein, nein, ich schaue mich schon noch um.«
Jens erschrak. »Im Wald?«
»Mal sehen.«
»Da müssen Sie aufpassen. Der ist wirklich an einigen Stellen sehr gefährlich.«
»Das bin ich allerdings gewohnt, mein Junge. Ich finde es toll, daß du mir so viel erzählt hast über den Wald und so…«
»Aber sagen Sie nichts meinen Eltern - bitte.«
Harry zwinkerte ihm zu. »Keine Sorge, das bleibt unter uns Männern.«
»Ich muß dann auch gehen.« Jens warf einen Blick auf seine bunte Armbanduhr.
»Klar, laß dich nicht aufhalten.«
Der Junge stand auf, nahm seinen Rucksack vom Nebenstuhl hoch und warf ihn über die Schulter.
»Tschau dann. Und… na ja… vielleicht sieht man sich noch.«
»Kann sein.« Harry stemmte den rechten Daumen hoch und schaute zu, wie der Junge das Eiscafé verließ. Er selbst blieb noch sitzen, um sich durch den Kopf gehen zu lassen, was er in der letzten halben Stunde erfahren hatte. Er bestellte noch einen Espresso, der schnell serviert wurde. Dabei ignorierte er die neugierigen Blicke des Italieners und holte sein Handy hervor. Er war der einzige Gast und würde keinen stören.
Harry Stahl hoffte, seine Partnerin Dagmar Hansen zu erreichen, die sich auf das abendliche Klassentreffen freute. Sie hatten abgemacht, daß die Handys eingeschaltet blieben.
Sie meldete sich auch sehr schnell und war nicht einmal verwundert, wer sie anrief.
»He, das habe ich mir gedacht. Wie ist es?«
»Erst mal, wie geht es dir, Dagmar?«
»Super. Fast alle sind gekommen. Wir haben viel Spaß. Im Moment sitze ich an der Bar im Hotelpool und lasse es mir gutgehen. Ich habe es bestimmt besser als du.«
»Das kann man sagen.«
Dagmar räusperte sich. »Deine Stimme klingt nicht gut, Harry. Ist was passiert?«
»Noch nicht, aber es könnte eintreffen.« Harry gab ihr einen kurzen Bericht dessen, was er erfahren hatte, und Dagmar hörte sehr aufmerksam zu. Er wollte auch ihre Meinung wissen, und die Psychonautin gab ihm eine ehrliche Antwort.
»Ich kann mir vorstellen, daß du nicht grundlos angerufen worden bist. Ich persönlich halte die Lage für gefährlich.«
»Dann glaubst du an diese Geschichte?«
»Sie könnte stimmen.«
»Das denke ich auch.«
»Soll ich kommen?«
Harry lachte. »Nein, nein, ich habe dir nur Bescheid geben wollen, damit du weißt, womit ich beschäftigt bin. Ich werde mich bald auf Hexensuche begeben.«
»Sei nicht so locker!« warnte sie ihn. »Denk nur an den Fall in Oberstdorf. Das wäre beinahe ins Auge gegangen, und dies im wahrsten Sinne des Wortes.«
»Keine Sorge. Ich habe es nicht vergessen.«
»Tu mir einen Gefallen und ruf an, wann immer du willst und es sein muß.«
»Versprochen, Dagmar, und viel Spaß.«
»Dir wünsche ich Glück.«
Harry unterbrach die Verbindung. Er dachte daran, daß Dagmars Stimme zuletzt nicht so fröhlich geklungen hatte. Kein Wunder, nach dem, was sie erfahren hatte. Auch Harry fühlte sich nicht eben blendend, als er in sich hineinhorchte. Er wußte nur, daß er den Anfang des Fadens in den Händen hielt. Was noch folgte, stand in den Sternen und konnte durchaus gefährlich sein.
Er winkte dem Wirt und beglich die Rechnung.
»Bleiben Sie noch länger hier im Ort?« fragte der dunkelgelockte Italiener im breitesten Eifel-Slang.
»Mal schauen. Ist ja nett hier.«
»Klar, das Wasser geht auch zurück. Hier kann man sich richtig erholen, wenn man allein ist. Sind Sie mit den Küppers' verwandt?«
»Nur bekannt.«
»Ach so, ja.«
Harry stand auf. Er konnte die Neugierde des Mannes verstehen, aber er hatte sich davor gehütet, ihm mehr zu sagen. Daß er hier mit Jens gesessen hatte, würde sich bestimmt herumsprechen. In einem Dorf wie diesem blieb nichts geheim.
Harry verließ die Eisdiele. Eine herrliche und frische Luft drang beim Atemholen tief in seine
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