0717 - Stygias Opfer
Devere stand halb hinter dem Vorhang und wartete darauf, dass die Haustür in den Angeln knarrte und der Mann auf die Straße hinaustrat. Aber die Minuten vergingen, und nichts geschah.
Dafür glaubte er drüben an dem anderen Haus immer wieder Elmsfeuer tanzen zu sehen. Er hatte zwischendurch auch das Gefühl, dass die Fassade des Hauses sich veränderte, aber wenn er genauer hinschaute, erwies sich das immer wieder als Täuschung.
Bisher hatten sich die seltsamen Effekte immer nur bei Dunkelheit gezeigt. Deshalb waren auch die Fotos und Filmaufnahmen, die Devere gemacht hatte, mehr schlecht als recht geworden. Jetzt, am Nachmittag, hatte er vielleicht bessere Chancen, aber im Moment dachte er überhaupt nicht daran, eine seiner Kameras zu benutzen.
Er dachte an den Parapsychologen, der plötzlich aufgetaucht war und sich für das Spukhaus interessierte. Wieso erschien der nicht auf der Straße? Wenn er die Hintertür nahm, musste er doch weite Umwege laufen, über Zäune und Mauern klettern, die die winzigen Höfe voneinander trennten.
Devere spürte, wie das Unbehagen in ihm wuchs. Hier stimmte etwas nicht.
Der Reporter gab seinen Beobachtungsposten eher widerwillig auf und trat auf den Korridor hinaus. Von dem Blonden war nichts zu sehen. Die Hintertür war abgeschlossen, der Schlüssel steckte innen. Die anderen Zimmertüren standen offen. Devere konnte auf den ersten Blick sehen, dass sich in den kleinen Räumen, in denen der Staub fast Zentimeter hoch auf den Möbeln lag, niemand befand.
Deshalb war dieses Haus auch ein so idealer Beobachtungsposten: weil es unbewohnt war.
»Landris?«, fragte Devere halblaut. »Sind Sie noch hier? Wo stecken Sie?«
Keine Antwort.
Die Tür zum Keller war im Rahmen verzogen und ließ sich höchstens mit Gewalt öffnen. Auf der nach oben führenden Treppe lag Staub und zeigte keine Spuren. Der Parapsychologe musste nach draußen gegangen sein.
Aber warum war er dann nicht auf die Straße hinausgekommen? Vom Fenster aus hätte Devere ihn sehen müssen !
Vorsichtig öffnete er die Haustür ein paar Zentimeter weit. Sie knarrte so laut wie immer.
Devere warf einen Blick auf die Straße. Zum gegenüber liegenden Haus.
Wo das Haus hätte sein sollen, grinste ihn ein gigantischer, gehörnter Totenschädel an und begann, meckernd zu lachen…
***
»Wir sind wirklich wieder in Paris.« Professor Zamorra seufzte.
Gleich mehrere Kontrolleure strömten durch den Metro-Waggon, in dem er, seine Gefährtin Nicole Duval und die anderen sich wiedergefunden hatten, nach ihrer Entführung und dem Zwangsaufenthalt in der Welt Koda.
Höflichkeit und Kundenfreundlichkeit gehörte nicht zu den Tugenden der Uniformierten, die prompt Stress machten - sie alle hatten zwar Fahrkarten, nur waren die nicht für diese Strecke gültig.
Und nicht für diesen Tag…
Zudem sah die kleine Gruppe nach ihrem haarsträubenden Abenteuer nicht gerade salonfähig aus…
Angefangen hatte es damit, dass Zamorra und Nicole sich ein Spukhaus in einem Vorort von Paris hatten ansehen wollen. Zamorras Freund Pascal Lafitte, der mit seiner Familie im Dorf unterhalb von Château Montagne wohnte, sichtete im Auftrag des Professors die nationale und internationale Presse hinsichtlich okkulter und unerklärlicher Phänomene. Wenn er fündig wurde, brachte er den entsprechenden Zeitungsausschnitt ins Château oder scannte ihn ein und schickte die Datei per Datenfernübertragung direkt an Zamorras Computer.
So hatte Lafitte den Parapsychologen auch auf das angebliche Geisterhaus aufmerksam gemacht. Es befand sich in Pantin, einem ziemlich ärmlichen und heruntergekommenen Ortsteil von Paris, in einer dunklen Sackgasse im unübersichtlichen Straßengewirr südlich des Ponte de Pantin. Ein Stadtstreicher, der dort Unterschlupf gesucht hatte, sollte während der Nachtstunden verrückt geworden sein. Und ein junger Marokkaner, der nachts nach der Disko an dem Haus vorbeigegangen war, kam mit schneeweißem Haar zu seinen Eltern zurück. Außerdem hatte er die Sprache verloren und stand unter einem schweren Schock.
Wenn da wirklich etwas dran war, musste Zamorra das Haus untersuchen und den Spuk beseitigen, ehe er noch mehr Schaden anrichtete. Deshalb ließ sich der Dämonenjäger gemeinsam mit seiner Gefährtin von der Metro, der Pariser U-Bahn, nach Pantin bringen.
Lieber hätte er das Auto genommen. Aber einerseits scheute er das innerstädtische Verkehr-Stau-Chaos der Hauptstadt, und zum anderen fiel ein Wagen
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