11 - Nie sollst Du vergessen
Wohnzimmer. Er bemerkte die Spuren von Möbeln, die diese im dicken Teppich hinterlassen hatten, und fragte die Frau, ob sie und ihr Mann die Absicht hätten, umzuziehen. Nein, sie zögen nicht um, antwortete sie und fügte nach einer winzigen Pause im Ton tiefer Verachtung hinzu: »Noch nicht.«
Sie bat ihn nicht, in einem der beiden noch vorhandenen Sessel Platz zu nehmen, die von je einer Katze besetzt waren, Tiere derselben Rasse wie die Katze auf ihrem Arm. Sie schliefen nicht, wie man das angesichts ihrer scheinbar entspannten Haltung vielleicht erwartet hätte, sondern zeigten eine scharfe Wachsamkeit, als wäre Lynley etwas, für das sie sich interessieren könnten, sollte ein plötzlicher Energieschub sie packen.
Mrs. Staines setzte die Katze, die sie auf dem Arm hielt, auf den Fußboden. Das üppige Fell, das sich an den Beinen der Katze wie eine Pumphose bauschte, glänzte gepflegt, als sie träge zu einem der Sessel strich, mühelos hinaufsprang und den Hausgenossen von seinem Platz verscheuchte. Dieser gesellte sich zu der Katze im anderen Sessel und ließ sich neben ihr nieder.
»Wunderschöne Tiere«, bemerkte Lynley. »Züchten Sie, Mrs. Staines?«
Sie antwortete nicht. Sie war ihren Katzen sehr ähnlich: wachsam, zurückhaltend, spürbar feindselig.
Sie ging zu einem Tisch. Die Spuren im Teppich auf der anderen Seite verrieten, dass dort einmal ein Sofa gewesen war. Auf dem Tisch selbst befand sich nichts als ein kleiner Schildpattkasten, dessen Deckel Mrs. Staines mit ihrem manikürten Finger aufklappte. Sie nahm eine Zigarette aus dem Kästchen und ein Feuerzeug aus der Tasche ihrer schmal geschnittenen, langen Hose. Nachdem sie die Zigarette angezündet und einmal tief inhaliert hatte, fragte sie: »Was hat er getan?«, und ihrem Tonfall war anzumerken, dass sie eigentlich lieber: »Was hat er denn jetzt wieder getan?« gesagt hätte.
Im Zimmer lag nirgends eine Zeitung, aber das hieß noch nicht, dass die Staines' von Eugenie Davies' Tod nichts wussten.
Lynley sagte: »Ich hätte Ihren Mann gern wegen einer Sache in London gesprochen, Mrs. Staines. Ist er zu Hause oder noch in seiner Arbeit?«
»Arbeit?« Sie lachte kurz. »London, sagen Sie? Ian mag Städte nicht, Inspector. Er hält kaum das Getümmel in Brighton aus.«
»Den Verkehr, meinen Sie?«
»Die Menschen. Er ist ein Menschenfeind, wenn es ihm auch meist gelingt, das zu verbergen.« Maniriert wie ein Star aus einem alten Film zog sie an ihrer Zigarette, den Kopf in den Nacken geneigt, sodass ihr Haar - üppig, elegant geschnitten, mit einer gelegentlichen weißen Strähne als Glanzlicht - lose über ihre Schultern fiel. Sie ging zum Fenster, auch hier mangelte es nicht an Spuren von fortgeschafften Möbelstücken, und sagte: »Er war nicht hier, als sie starb. Er war bei ihr gewesen. Sie hatten sich gestritten, wie Ihnen vermutlich irgendjemand berichtet hat, sonst wären Sie wohl kaum hier. Aber er hat sie nicht getötet.«
»Sie wissen also, was Mrs. Davies zugestoßen ist?«
»Aus der Zeitung«, antwortete sie. »Wir haben es erst heute Morgen gelesen.«
»Jemand hat beobachtet, dass Mrs. Davies am fraglichen Abend in Henley mit einem Mann Streit hatte, der dann in einem Audi mit einem Brightoner Kennzeichen davongefahren ist. War dieser Mann Ihr Gatte?«
»Ja«, antwortete sie. »Das wird Ian gewesen sein, dem wieder einmal ein schöner Plan geplatzt war.«
»Ein Plan?«
»Mein Mann hat immer irgendwelche Pläne. Und wenn er keinen Plan hat, dann kommt er mit Versprechungen. Pläne und Versprechungen, Versprechungen und Pläne. Und meistens kommt nichts dabei heraus.«
»Das reicht, Lydia.«
Der Ton war kurz und scharf. Lynley wandte sich um. An der Tür stand ein magerer, langgliedriger Mann mit dem trockenen, gelblich getönten Teint eines Kettenrauchers. Wie zuvor seine Frau ging er durch das Zimmer zum Tisch mit der Schildpattdose und nahm sich eine Zigarette. Ohne ein Wort zu sagen, nickte er seiner Frau zu, die daraufhin ihr Feuerzeug aus der Hosentasche zog. Sie reichte es ihm, und während er sich seine Zigarette anzündete, sagte er zu Lynley: »Was kann ich für Sie tun?«
»Er ist wegen deiner Schwester hier«, erklärte Lydia Staines.
»Ich hab dir gesagt, dass das zu erwarten ist, Ian.«
»Lass uns allein.« Er wies mit dem Kinn zu den beiden Sesseln und sagte: »Nimm die Biester mit, bevor ich ihnen das Fell abziehe.«
Sie warf ihre noch schwelende Zigarette in den offenen Kamin, klemmte sich je
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