11 - Nie sollst Du vergessen
auf, Zorn und Furcht triumphierten über besseres Wissen. »Das ist Schikane!«, rief sie erregt. »Das ist doch reine Schikane!«
»Yas!«, sagte Katja und stellte die Pfanne, die sie in der Hand hatte, auf den Herd. Sie selbst blieb, wo sie war, an der offenen Tür, das Licht im Rücken, so dass ihr Gesicht in Schatten getaucht war. »Lass ihn doch erst mal erklären.«
»Wir haben doch alles schon mal gehört.«
»Aber wahrscheinlich war es eben nicht alles.«
»Ich sehe nicht ein -«
»Yas!«
»Nein! Fällt mir nicht ein, mich von einem verdammten Nigger mit einem Polizeiausweis -«
»Mama!« Daniel, jetzt vollständig gekleidet, schoss aus seinem Zimmer. Er schaute so entsetzt, dass Yasmin die Beschimpfung, die zwischen ihnen in der Luft hing und sie selbst viel härter traf als den Bullen, gern zurückgenommen hätte.
»Geh frühstücken«, sagte sie kurz zu ihrem Sohn und fügte zu Nkata gewandt hinzu: »Los, sagen Sie, was Sie zu sagen haben, und dann verschwinden Sie.«
Einen Moment lang rührte Daniel sich nicht. Es war, als wartete er auf Anweisungen des Polizisten, auf die Erlaubnis des Schwarzen, dem Befehl seiner Mutter Folge zu leisten. Yasmin hätte am liebsten blindwütig auf irgendjemanden eingeschlagen, als sie das sah, aber sie bemühte sich, ruhig zu bleiben und tief zu atmen. »Dan«, sagte sie nur, und an Katja vorbei, die zur Seite trat und »Im Kühlschrank ist Saft, Daniel« sagte, drängte sich der Junge in die Küche.
Keiner von ihnen sprach, während gedämpfte Geräusche aus der Küche verrieten, dass Daniel, trotz der Vorgänge um ihn herum, immerhin den Versuch machte, zu frühstücken. Alle drei verharrten auf den Positionen, die sie eingenommen hatten, als Nkata in die Wohnung gekommen war, und bildeten so ein Dreieck, das durch Eckpunkte an der Wohnungstür, der Küchentür und dem Fernsehgerät definiert wurde. Yasmin wollte ihre Position aufgeben und zu ihrer Freundin treten, aber gerade als sie im Begriff war, den ersten Schritt zu tun, begann Nkata zu sprechen, und was er sagte, hielt sie an ihrem Platz.
»Es macht sich nicht gut, wenn eine Aussage berichtigt werden muss, Miss Wolff. Haben Sie neulich Abend wirklich vor dem Fernseher gesessen? Sind Sie sicher, dass der Junge das bestätigen wird, wenn ich ihn frage?«
»Lassen Sie Daniel aus dem Spiel«, schrie Yasmin ihn an. »Ich erlaube Ihnen nicht, mit meinem Sohn zu reden.«
»Aber Yas!« Katjas Ton war ruhig, aber nachdrücklich. »Jetzt frühstücke du doch erst mal, okay? Der Constable will ja offenbar mit mir sprechen.«
»Ich lass dich nicht mit diesem Typen allein. Du kennst die Bullen. Du weißt, wie sie sind. Denen kann man nichts anvertrauen -«
»Außer Fakten«, unterbrach Nkata. »Fakten können Sie uns immer anvertrauen. Um also noch mal auf neulich Abend zu kommen ...«
»Ich habe nichts weiter zu sagen.«
»Gut. Und was ist mit gestern Abend, Miss Wolff?«
Yasmin sah, wie Katjas Gesicht sich veränderte, ihre Augen sich kaum wahrnehmbar zusammenzogen. »Was soll damit sein?«
»Haben Sie da auch vor dem Fernseher gesessen?«
»Wozu wollen Sie das wissen?«, fragte Yasmin. »Katja, du sagst gar nichts, solange er dir nicht erklärt, warum er diese Fragen stellt. Wir lassen uns nicht von ihm reinlegen. Entweder er sagt uns auf der Stelle, warum er fragt, oder er fliegt hochkant raus. Ist das klar, Mister?«
»Wir haben einen zweiten Autounfall mit Fahrerflucht«, sagte Nkata zu Katja. »Also, möchten Sie mir jetzt sagen, was Sie gestern Abend getrieben haben?«
In Yasmins Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken, sodass sie es beinahe nicht hörte, als Katja »Ich war hier« sagte.
»Gegen halb zwölf?«
»Ja, da war ich hier.«
»Verstanden«, sagte er und fügte hinzu, was ihm, so vermutete Yasmin, schon auf der Zunge lag, seit sie ihm die Tür geöffnet hatte. »Sie haben also nicht die ganze Nacht mit ihr verbracht. Es war nur eine schnelle Nummer. Ist das richtig?«
Seinen Worten folgte eine schreckliche Stille, in der Yasmin nichts hörte als die gellende Stimme in ihrem Kopf, die »Nein!« schrie. Bitte sag was, dachte sie. Zieh dich jetzt nicht in Schweigen zurück.
Katjas Blick suchte Yasmins, als sie zu dem Polizisten sagte: »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Ich rede von einer Busfahrt nach Süd-London gestern Abend nach der Arbeit«, erklärte Nkata. »Ich rede von einem Stelldichein in Frère Jacques' Bar in Putney und einem Spaziergang nach Wandsworth in die
Weitere Kostenlose Bücher