11 - Nie sollst Du vergessen
weißt schon.«
Yasmin goss sich einen Becher Kaffee ein. »Du meinst, ob ich ihn aufgeklärt habe?«, fragte sie. »Ob ich ihm erklärt habe, wie die Kinder gemacht werden?«
»Naja, das könnte doch nicht schaden. Oder hat schon jemand mit ihm geredet? Früher, meine ich.«
Sie sagte nicht: »Als er in Pflege war.« Yasmin wusste, dass Katja diese Worte stets sorgfältig vermied, um bei ihr nicht die Erinnerungen zu wecken, die damit verbunden waren. Es war immer Katjas Art gewesen, in die Zukunft zu schauen und die Vergangenheit hinter sich zu lassen. »Was glaubst du denn, wie ich es hier, hinter diesen Mauern, aushalte?«, hatte sie einmal zu Yasmin gesagt. »Indem ich Pläne mache. Ich denke über die Zukunft nach, nicht über die Vergangenheit.« Und Yasmin, hatte sie hinzugefügt, täte gut daran, sich an ihr ein Beispiel zu nehmen.
»Du musst dir darüber im Klaren sein, was du tun wirst, wenn du hier raus kommst«, hatte sie gesagt. »Du musst dir darüber im Klaren sein, was du sein willst. Und dann musst du es verwirklichen. Das geht. Aber du musst jetzt schon damit anfangen, diesen neuen Menschen aus dir zu machen, solange du hier drinnen bist und die Möglichkeit hast, dich ganz darauf zu konzentrieren.«
Und du?, dachte Yasmin jetzt, während sie die Freundin beobachtete, die die Pfannkuchen auf die Teller verteilte. Was ist mit dir, Katja? Was hast du für Pläne gemacht, als du im Gefängnis warst, und was ist das für ein Mensch, der du sein möchtest?
Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass Katja ihr das nie genau gesagt hatte. Sie hatte immer nur gemeint: »Dafür ist Zeit, wenn ich wieder frei bin.«
Wofür?, dachte Yasmin.
Sie hatte nie zuvor darüber nachgedacht, welches Maß an Sicherheit die Gefangenschaft bot. Die Fragen waren einfach, wenn man im Gefängnis saß, genau wie die Antworten. In der Freiheit war alles viel komplizierter.
Mit einem Teller in der Hand, wandte Katja sich vom Herd ab.
»Wo bleibt der Junge? Wenn er sich nicht beeilt, werden die Pfannkuchen zäh wie Gummi.«
»Er möchte in den Weihnachtsferien nach Disney World«, bemerkte Yasmin.
»Wirklich?« Katja lächelte. »Na ja, vielleicht können wir ihm den Wunsch erfüllen.«
»Wie denn?«
»Ach, es gibt immer Mittel und Wege«, meinte Katja. »Er ist so ein gutes Kind, unser Daniel. Er soll haben, was er will. Und du auch.«
Ein gutes Stichwort. Yasmin griff es sogleich auf. »Und wenn ich dich will«, sagte sie. »Wenn das alles ist, was ich will?«
Katja lachte, stellte Daniels Teller auf den Tisch und trat zu Yasmin. »Siehst du, wie einfach es ist?«, fragte sie. »Du brauchst deinen Wunsch nur zu äußern, und sofort wird er erfüllt.« Sie küsste Yasmin und ging wieder an den Herd. »Daniel!«, rief sie laut. »Deine Pfannkuchen sind fertig. Du musst jetzt kommen. Komm!«
Draußen klingelte es. Yasmin sah auf die kleine Uhr, die auf dem Herd stand. Halb acht. Wer, zum Teufel ...? Sie runzelte die Stirn.
»Wer will uns denn so früh schon besuchen?«, sagte Katja, während Yasmin den Obi um den scharlachroten Kimono, den sie statt eines Morgenmantels trug, lockerte und neu band. »Es gibt hoffentlich keinen Ärger, Yas. Oder hat Daniel vielleicht die Schule geschwänzt?«
»Das möchte ich ihm nicht geraten haben.« Yasmin ging zur Tür und drückte ihr Auge an den Spion. Sie schnappte kurz nach Luft, als sie sah, wer draußen im Flur stand und geduldig darauf wartete, dass jemand ihm öffnete. Oder vielleicht doch nicht so geduldig, denn jetzt hob er die Hand und klingelte ein zweites Mal.
»Es ist dieser verdammte Bulle«, sagte sie leise zu Katja, die mit der Pfanne in der einen Hand und dem Wender in der anderen an die Küchentür gekommen war.
»Der Schwarze von gestern? Dann lass ihn doch rein, Yas.«
»Ich will nicht -«
Er klingelte zum dritten Mal, und Daniel streckte den Kopf aus dem Badezimmer. »Mam! Es hat geklingelt. Willst du nicht mal aufmachen?«, rief er laut, ohne zu bemerken, dass sie vor der Tür stand wie ein ungehorsames Kind, das die Strafe fürchtete.
»Yas«, sagte Katja. »Mach die Tür auf.« Und zu Daniel: »Komm, deine Pfannkuchen warten. Zwanzig Stück hab ich gemacht, genau so, wie du sie magst. Deine Mama hat mir erzählt, dass du in den Weihnachtsferien nach Disney World willst. Zieh dich an, dann reden wir darüber.«
»Wir fahren ja sowieso nicht«, sagte er mürrisch, während es draußen erneut klingelte.
»Ach, du kannst wohl hellsehen? Komm, zieh dich
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