110 - Zombies im Orient-Express
gab’s Schinken, Käse und eine Auswahl an Marmeladen. Archie
erinnerte sich wieder an alles und berichtete davon, wie er in jener Nacht, als
er auf der Lauer lag, plötzlich seltsame Geräusche und Trommeln hörte. Er kam
jedoch nicht mehr dazu, dem Lärm nachzugehen.
„Plötzlich
stand jemand in meinem Zimmer ... ein großer, dunkelhaariger Mann, sehr
schlank, krankhaft blass aussehend und mit Augen, die wie Kohlen glühten. Er
sah mich eindringlich an. Ich war wie gebannt, unfähig, mich von der Stelle zu
rühren. Im ersten Moment glaubte ich zu träumen, aber das war kein Traum. Ich
spürte die Nähe des Fremden, und die Kälte, die von ihm ausging, so intensiv,
dass ich meinte, ein eisiger Windhauch rührte mich an. Dann war mein Zimmer
plötzlich mit Gestalten umringt. Schwarze Menschen, die grässliche
Dämonenmasken trugen, umtanzten mich. Der Blasse kam auf mich zu und sagte mit
hohler Stimme: Ich will dein Leben ... Du sollst an meiner Stelle von nun an im
Grab modern ... Er streckte langsam seine großen, weißen Hände nach mir aus.
Ich war zu Tode erschrocken, konnte aber weder fliehen noch eine Abwehrbewegung
machen. Ich starrte ihn nur an. Dann fühlte ich seine Finger. Im gleichen
Augenblick meinte ich, von einer Lanze aus Eis durchbohrt zu werden. Mir
schwanden die Sinne. Als ich wieder zu mir kam, drang Helligkeit durch die
Vorhänge. Ich saß mitten im Bett, war aber nicht imstande, aufzustehen oder ein
Wort zu sagen. Ich erkannte, dass ich vor Entsetzen die Sprache verloren hatte.
So plötzlich der unheimliche Geist von mir Besitz ergriff, so unerwartet hat er
mich in der letzten Nacht wieder verlassen ... Ich bin froh, mich wieder äußern
zu können, froh, dass die entsetzliche, meinen ganzen Körper erfassende Angst
endlich von mir gewichen ist. Aber eine Erklärung habe ich nach wie vor nicht
dafür...“
„Ich habe
sie“, ergriff Claire Feenler das Wort. Sie saß mit Lockenwicklern am
Frühstückstisch und hatte ein halbdurchsichtiges Tuch um ihr Haar gebunden.
„Seit dieser Nacht weiß ich, was hier im Haus geschehen ist. Ich hatte Kontakt
zu Stanley, Sir, wie Sie ebenfalls Kontakt zu ihm hatten. Nur auf eine andere
Weise. Es war wirklich seine Absicht, Sie zu töten. Aber in jener Nacht, als
sein Geist Ihnen begegnete, war er noch nicht in der Lage dazu. Er drang in Sie
ein, wollte Ihr Leben an sich reißen, und etwas von seiner Art, seinem Wesen
blieb in Ihnen zurück. Sie waren von Stanleys Geist besetzt. Der größte Teil
kehrte wieder ins Grab zurück, das es unter dem Fundament dieses Hauses gibt...
In ihm war Stanley gefangen. Sein durch ein Voodoo-Ritual verzauberter Geist
konnte sich von Zeit zu Zeit befreien, von Mal zu Mal mehr, je öfter er in
Erscheinung trat und Menschen in Angst und Panik versetzen konnte. Immer dann,
wenn während der letzten Wochen und Monate etwas passierte, das andere vor Rätsel
stellte, bedeutete dies einen kleinen Macht- und Kräftegewinn. In der letzten
Nacht war er schon so weit in der Lage, direkt zu
töten und die Seele und das Leben seines Opfers voll in seinen ausgedörrten,
vom Voodoo-Zauber ausgehöhlten Körper aufzunehmen. Nur in einer gemeinsamen
Anstrengung war es möglich, diesen Angriff abzublocken und den schrecklichen
Zombie- Geist zu vernichten, ehe er weitere unschuldige Menschen in seinen
bösen Einflussbereich ziehen konnte.“ Claire Feenler wusste durch die intensive
Begegnung mit Stanley, wie dessen Schicksal zustande gekommen war. „Er war ein
Weltenbummler ... sein voller Name lautete Stanley Cramer ... Er liebte das
Reisen und die Abenteuer, schöne Frauen, ein freies, ungebundenes Leben und die
Mysterien dieser Welt. Er nahm an gefährlichen religiösen Ritualen teil, unter
anderem an einer Voodoo-Beschwörung. Bei dieser Gelegenheit fuhr ein böser
Geist in ihn, der ihn nicht mehr verließ. Auf Umwegen kehrte Stanley Cramer
nach London zurück. Er war verwahrlost, krank und einsam, und wie ein Bettler
suchte er Zuflucht in dem alten Landhaus. Hier quartierte er sich ein und hier
begegnete er auch seinem Mörder...“
Alle Augen
richteten sich auf sie. Claire Feenler sprach einen Punkt an, der ihnen bisher
unbekannt war.
„Ja, Stanley
Cramer wurde ermordet ... da kam beides zusammen: der Voodoo-Zauber und der
gewaltsame Tod! Sie schufen die Basis für das, was sich später hier ereignete,
als wieder Menschen im Landhaus verkehrten, als es renoviert wurde. Zuerst
hatten die Arbeiter seltsame Erlebnisse, dann die
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