110 - Zombies im Orient-Express
Strecke
London-Paris-Venedig, ein Hauch von Nostalgie auf einer abgekürzten Reise,
allerdings nicht nach Fahrplan, sondern nur auf Bestellung. Aber das war dem Lord noch zu wenig. „Ich habe bereits telefonisch alles
besprochen“, strahlte er, als er in verblüffte Gesichter sah. „Ich habe für uns
einen Salonwagen, einen Schlafwagen und einen Speisewagen gemietet. Die
Reiseroute verläuft ganz einfach, Ladies and Gentlemen. Wir werden in
Pullman-Wagen nach Folkstone an die Kanalküste fahren. Mit der Fähre schippern
wir dann eineinhalb Stunden lang über das Wasser nach Boulogne, und hier
steigen wir in die blaugoldenen Wagen ein. Aber nur bis Paris. Dort lassen wir
uns direkt an den Orient-Express anhängen, der wirklich die alte Strecke noch
fährt, heute aber nichts anderes ist als ein normaler Schnellzug. Von Paris-Ost
geht’s über Straßburg, München, Salzburg nach Wien und von dort weiter nach
Budapest bis zur Endstation Bukarest... Ist das nichts?“
„Doch,
Mylord“, antwortete Larry Brent, den er ansah. „Fragt sich nur, ob unser Chef
mit einem fast zweitägigen Sonderurlaub einverstanden ist.“ „Falls
erforderlich, können Sie die Fahrt jederzeit unterbrechen, was ich jedoch nicht
hoffe.“
Eine
Viertelstunde später erhielten die drei Agenten das Okay von X- RAY-1. Sie
sollten die einmalige Gelegenheit nutzen und die außergewöhnliche Fahrt quer
durch Europa mitmachen. Außergewöhnlich sollte sie werden, aber auch noch in
einem anderen Sinn ...
●
Sie hatte in
den vergangenen beiden Tagen mehr Termine geschafft als sonst und damit für
diese Woche ihr Soll erfüllt. Während sie im Wagen Richtung London fuhr, malte
sie sich im Geist aus, wie schön dieses verlängerte Wochenende mit Alex sein
würde. Ruth Shefton war Pharma-Referentin, hatte ein verhältnismäßig großes
Gebiet zu befahren und suchte verschiedene große Apotheken, aber hauptsächlich
Arztpraxen auf, um ihre Arzneimittel-Spezialitäten vorzustellen. Bei einem
solchen Besuch hatte sie vor zwei Jahren auch Dr. Alex Haith kennengelernt. Sie
waren sich auf Anhieb sympathisch und seither eng befreundet. Die
Wahrscheinlichkeit, dass sie in diesem Jahr noch heiraten würden, war groß ...
Ruth Shefton
hatte kastanienbraunes, kurzgeschnittenes Haar, das ihr rundes Gesicht mit den
großen, dunklen Augen voll zur Geltung brachte. Sie war ein sportlicher Typ,
ritt für ihr Leben gern und kletterte auf die Berge. Die Frau hatte eine
Schwäche für schnelle Wagen und war auch schon mal eine Rallye gefahren. Ihre Berufsfahrten
unternahm sie treu und brav in einem Mittelklassewagen, den ihr die Firma zur
Verfügung stellte. Zu Hause aber stand ein Flitzer aus den Werken von Alfa
Romeo, den sie hegte und pflegte, und eine schwere BMW, eine 500er Maschine,
die Ruth Shefton nicht minder gern fuhr. Schwarzlackiertes Motorrad, schwarze
Lederkleidung, schwarz der Helm ...
Alex pflegte
manchmal zu sagen, dass sie ihn in dieser Aufmachung an einen Filmhelden aus
seiner Kindheit erinnere. An den Rächer in Schwarz, der wie Zorro maskiert und
schwarz eingekleidet durch die Nächte ritt, den Bedrängten und in Not Geratenen
zu Hilfe eilte und die Bösewichte bestrafte. Niemand wusste, wer der Rächer in
Schwarz war. Dann geriet er eines Nachts in einen Hinterhalt, und ihm wurden
Kapuze und Maske vom Gesicht gerissen. Darunter kam das engelhafte Antlitz
einer Frau hervor... Und mit diesem Schwarzen Rächer verglich Alex Haith stets
die Frau, die er liebte.
Um Ruth
Sheftons Lippen spielte ein amüsiertes Lächeln. Es war Nachmittag vorüber. Spätestens
bei Einbruch der Dunkelheit würde sie in London sein. Sie wollte sofort in
Alex’ Wohnung fahren und ihn überraschen. Er erwartete sie frühestens morgen
Abend. Ruth Shefton hatte in den letzten beiden Tagen mehrfach bei Haith
angerufen. Aber nur der Telefonanrufbeantworter war eingeschaltet gewesen. Kein
einziges Mal war es ihr gelungen, den Mann direkt an die Strippe zu bekommen.
Alex schien im Moment ständig auf Achse zu sein. Er hatte offenbar viel zu tun.
Eine Sache dabei war allerdings sehr merkwürdig ...
Obwohl sie
jedes Mal die Telefonnummer des Hotels hinterließ, in dem sie gerade
abgestiegen war, hatte Alex nicht zurückgerufen. Das beschäftigte sie
unablässig. War er vielleicht verreist? Sie wusste, dass am kommenden
Wochenende in Budapest ein internationaler medizinischer Kongress stattfand, an
dem Spezialisten und Kapazitäten aus aller Welt teilnahmen. Sogar aus
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