110 - Zombies im Orient-Express
Japan und
Thailand wurden Teilnehmer erwartet, ln ihrer Fachzeitung hatte sie darüber
gelesen. Dieser Kongress fand alle drei Jahre in einer anderen Hauptstadt
statt, mal im Osten, mal im Westen. Alex Haith nahm an derartigen
Veranstaltungen gern und so oft teil wie nur irgend möglich. Er wollte stets
über die neuesten Forschungsergebnisse unterrichtet sein.
Ruth Shefton
erreichte London, als es dämmerte. Sie fuhr sofort zum Hyde-Park und fand mit
einiger Mühe einen Parkplatz vor dem modernen Apartmenthaus, das genau neben
einem Hotel stand. Die junge Britin ließ ihren Blick über die
Parkeinstellplätze schweifen. Ein Bentley fiel sofort auf. Und da stand auch
einer! Ihr Herz schlug unwillkürlich schneller. Alex war da
...
Unwillkürlich
richtete sie ihren Blick an der glatten, sauberen Fassade des neuen Hauses
empor. Ruth Shefton ließ sich vom Lift in die neunte Etage tragen und eilte
dann durch den langen Korridor, an mahagonifarbenen Türen vorbei. Sie hatte die
Wohnungsschlüssel für Alex’Apartment stets dabei und konnte hier aus- und
eingehen wie bei sich zu Hause. Leise schloss sie auf. Durch den sich
verbreiternden Türspalt sah sie kein Licht. Im Apartment war es dunkel. Da
überfiel es sie zum ersten Mal eiskalt. Seit drei Tagen hatte sie schon so ein
merkwürdiges Gefühl, dass ihre Telefonate kein Echo durch ihren Freund fanden
und immer nur der Anrufbeantworter sich meldete. War ihm etwas passiert? Der
Gedanke zuckte blitzartig in ihrem Hirn auf und ließ sich nicht mehr
verdrängen. Ruth Sheftons Rechte griff zum Lichtschalter. Die Lampe in der
geräumigen und mit leichten französischen Möbeln eingerichteten Diele ging an.
„Alex?“, rief die Frau leise und hörte ihre eigene Stimme verebben. Keine
Antwort erfolgte. Die Unruhe in Ruth wuchs. Die beiden Türen zum Wohn- und
Arbeitszimmer standen weit offen. Geschlossen waren die zum Bad, zur Küche und
zur Bibliothek. Alex’ Wagen parkte unten, also musste auch sein Besitzer da
sein. Hatte er einen derart anstrengenden Tag hinter sich, dass er vielleicht
eingeschlafen war und ihr Eintreten nicht gehört hatte? Oder vielleicht war er
irgendwo in eine Nachbarwohnung oder hinüber ins Hotel gerufen worden, um dort
Hilfe zu leisten? Es wäre nicht das erste Mal...
Den ersten
trüben Gedanken und der beklemmenden Angst folgten beruhigendere Überlegungen.
Ruth lief von einem Zimmer ins andere und knipste überall Licht an. Nirgends
eine Spur von dem Freund! Die Wohnung befand sich in einem ordentlichen und
sauberen Zustand. Nichts war zerwühlt, es gab keine Spuren, die eventuell auf
einen Überfall oder einen Einbruch hätten schließen lassen. Der große
Schreibtisch stand in einer Fensternische. Von hier aus konnte man direkt
hinunter auf die belebte Straße und den Hyde-Park sehen. Viele Passanten gingen
dort spazieren. In der Speaker’s Corner versammelte ein junger Farbiger
interessierte Zuhörer um sich. Alles war normal und alltäglich, und doch wurde
Ruth Shefton plötzlich wieder das Gefühl nicht los, dass alles anders war als
sonst. Auf dem Schreibtisch lag Alex’ Terminkalender. Das ledergebundene Buch,
das in goldenen Buchstaben auf dem Umschlag seinen Namen trug, war schon mehr
als nur Terminkalender. Hier notierte Alex Haith auch Gedanken über bestimmte
Dinge, die ihm durch den Kopf gingen, oder vermerkte Angaben, die ganz
bestimmte Personen betrafen. Der Kalender erfüllte schon mehr den Sinn eines
Tagebuchs. Der letzte Eintrag war genau zwei Tage alt. Das war am Montag
gewesen. Um siebzehn Uhr schrieb Alex Haith, dass er gerade von einem
Krankenbesuch nach Hause zurückkehre. Dieser hatte ihn zu Philip Earl of
Gainsbourgh geführt. Haith äußerte sich sehr bedenklich über den
Krankheitsverlauf.
Ich kann ihm nicht
helfen ... war da zu lesen. Ich bin mit meiner Kunst am Ende. Was mich am
meisten verwirrt, ist die Tatsache, dass ich nicht verstehe, warum sich die
Krankheit so äußert. Nach und nach scheint jedes einzelne Organ seine Funktion
zu verlieren. Sie bilden sich zurück und zerfallen in seinem Körper...
Gainsbourgh ist ein Fall für die Klinik, aber da will er nicht hin. Ich glaube
kaum, dass er die kommende Nacht übersteht ...
Hier endete
jeder schriftliche Eintrag. Die folgenden Seiten waren frei geblieben. Seit
Montag kein Eintrag mehr. Und jetzt war Mittwochabend ...
Gedankenversunken
starrte Ruth Shefton auf die belebte Straße hinab. Alle Laternen brannten, die
Scheinwerfer der Autos und die
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