111 - Wenn das Grauen sich erhebt
Händen in Sicherheit zu bringen, Ihr Nachthemd zerriß mit einem häßlich ratschenden Geräusch.
Mirjana bedeckte ihre Blößen nicht, sondern schrie und wollte die Flucht ergreifen, doch sie kam nicht von der Stelle.
Etwas hielt sie fest! Sie wehrte sich verzweifelt dagegen, schlug um sich, aber dann schlossen sich Finger um ihre Handgelenke, und sie konnte sich nicht mehr wehren.
Ein unbegreiflicher Druck lastete auf ihr. Sie bekam zuwenig Luft, glaubte, ersticken zu müssen und riß die Augen weit auf.
Plötzlich wechselte die Szene! Mirjana befand sich nicht mehr im Verlies, und sie wurde auch nicht mehr von diesem grauen Geistermann angegriffen.
Sie lag in ihrem Bett, und Grace Morton befand sich über ihr und hielt sie verzweifelt fest.
Da begriff Mirjana, daß sie alles nur geträumt hatte!
***
Sie wehrte sich nicht mehr, gab sich geschlagen. Als Grace Morton spürte, wie sich Mirjana entspannte, fragte sie keuchend: »Bist du okay, Mirjana?«
Die Gefragte nickte. »Ja, Grace«, sagte sie leise.
Grace richtete sich langsam auf. »Dem Himmel sei Dank. Ich dachte schon, dich nicht festhalten zu können. Du hast so fürchterlich um dich geschlagen… Muß ein entsetzlicher Alptraum gewesen sein.«
»Er war schrecklich realistisch«, sagte Mirjana, innerlich immer noch aufgewühlt. »Ich… ich war im verbotenen Trakt, Grace.«
»Was hast du dort erlebt?«
»Es spukt dort! Ein Geist hat mich angegriffen, ein grauer, durchsichtiger Mann. Es war schrecklich.«
»Zum Glück war’s nur ein Traum«, sagte Grace beruhigend. »Dein Unterbewußtsein hat dir einen Streich gespielt.«
»Der Marm zerriß mir das Nachthemd.«
»Dann war’s auch noch ein erotischer Traum«, sagte Grace dünn lächelnd. »Als ich dich schreien hörte, begriff ich zunächst überhaupt nichts. Aber als ich dich wie verrückt herumschlagen sah, wußte ich, was ich tun mußte.«
»Danke, Grace.«
»Ach, vergiß es«, sagte das blonde Mädchen. »Du hast mir einen gehörigen Schrecken eingejagt.«
»Das tut mir leid. Ich verspreche dir, nie wieder so häßlich zu träumen.«
»Das würde ich begrüßen«, sagte Grace. »Kann ich dich schon wieder allein lassen?«
»Ich mache heute nacht keinen Muckser mehr«, versprach Mirjana.
»Darum möchte ich auch gebeten haben«, erwiderte Grace Morton mit gespielt energischem Ton und kehrte in ihr Bett zurück. »Gute Nacht, Mirjana.«
»Gute Nacht, Grace«, gab das dunkelhaarige Mädchen zurück und drehte sich auf die Seite. Sie hoffte, daß der schreckliche Traum keine Fortsetzung fand.
Als sie sich auf die rechte Schulter legte, durchfuhr sie ein Schmerz. Sie preßte die Lippen zusammen und schob die Hand unter den Stoff ihres Nachthemds.
Im gleichen Moment erschrak sie. Ihre Finger hatten Kratzwunden entdeckt Wunden, die ihr der Geistermann zugefügt haben mußte!
***
Mirjana warf sich herum, machte Licht und setzte sich auf. »Grace!«
Ihre Freundin wandte sich ihr seufzend zu. »So hältst du also deine Versprechen.«
»Ich war im verbotenen Trakt!« behauptete Mirjana.
»Unsinn, wie kannst du…«
»Frag mich nicht, wie so etwas möglich ist. Ich weiß nur, daß ich da war.«
»Kein Mensch kann an zwei Orten gleichzeitig sein, Mirjana. Das weißt du so gut wie ich. Also was soll der Unsinn? Komm, lösch das Licht. Wir wollen schlafen, okay?« Grace drehte sich um.
»Ich weiß, wie es im verbotenen Trakt aussieht«, sagte Mirjana.
»Wie schön für dich«, bemerkte Grace Morton völlig desinteressiert.
»Sieh dir das an«, verlangte Mirjana und entblößte ihre verletzte Schulter.
»Na schön«, ächzte Grace geplagt. »Aber das ist der letzte Gefallen für heute, ja?« Sie wandte sich der Freundin noch einmal zu.
»Kratzer«, stellte Mirjana fest.
»Du hast - wie ich schon sagte - ziemlich wild um dich geschlagen. Ich mußte fest zupacken. Tut mir leid, dich dabei verletzt zu haben.«
»Das warst nicht du, Grace.«
»Wer denn sonst?«
»Es war dieser Mann. Deine Fingernägel sind kurz und rund. Seine waren lang und spitz. Richtige Krallen waren das«, sagte Mirjana. »Ich habe mit diesem Mann gekämpft!« Sie sprang aus dem Bett. »Komm mit mir, Grace!«
»Mitten in der Nacht? Du spinnst wohl. Um diese Zeit gehe ich nirgendwo mehr hin.«
»Ich muß dir beweisen, daß ich dort unten war«, sagte Mirjana.
»Sag lieber, du mußt es dir selbst beweisen«, gab Grace zurück. »Da du allein aber Angst hast, soll ich dich begleiten.«
»Bitte, tu es«, flehte
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