1124 - Aus dem Reich der Toten
Mal Mensch, mal Vampir. Und du bist…«
»Nein! Sprich es nicht aus.« Sie streckte Janine die Hand entgegen. »Ich weiß, was mit mir geschehen ist.«
»Schon gut, Nora. Hast du es John Sinclair gesagt?«
»Wo denkst du hin?« Sie schüttelte den Kopf. »Nie würde ich das so leicht tun. Niemals. Es ist ein Geheimnis. Okay, es wäre bei im sicherlich gut aufgehoben, aber so lange es keinen triftigen Grund gibt, werde ich mich daran halten. Er hat sich sowieso schon über mich gewundert und wird sich auch seine Gedanken machen.«
»Ja, ich schätzte ihn so ein. Doch ich glaube nicht, daß er sich an die Wahrheit heranbewegen kann. Nein, er ist ein Mensch. Zwar ein außergewöhnlicher, aber deine Wahrheit übertrifft alle Spekulationen.«
»Ich möchte nicht, daß er stirbt, Janine.«
»Ich ebenfalls nicht.«
»Dann werde ich zu ihm fahren.«
Janine Helder war skeptisch. »Und du weißt wirklich, wo du ihn finden kannst?«
Nora lächelte und streichelte die Wangen der älteren Frau. »Verlaß dich auf mich. Ich lasse mich dabei von meinen Gefühlen leiten. Ich bin auch überzeugt, daß er Lauder nicht verlassen hat. Der Fall ist für ihn nicht abgeschlossen, auch wenn es den Killer nicht mehr gibt. Er weiß, daß er nicht aus eigenem Antrieb gehandelt hat. John ist jemand, der immer hinter die Mauer schauen will.« Sie zuckte die Achseln. »Aber wem sage ich das? Du hast ihn selbst erlebt, als er sich um meine Schwester Doreen gekümmert hat.«
Janine lenkte ein. »Es ist schon recht, Nora. Ich merke, daß du es tun mußt. Nur laß mich bitte hier.«
»Natürlich.«
Beide Frauen folgten einem Zwang und umarmten sich. Jede wußte, was auf dem Spiel stand. Lalibela und seine Helfer waren keine normalen Gegner.
Mit forschen Schritten ging Nora zum Motorrad. Es war eine Kawasaki, wie sie nebenbei feststellte.
Sie schwang sich auf den Feuerstuhl und startete.
Der Auspuff entließ ein Röhren, das sich wie ein wütender Schrei anhörte. Der breite Lichtstrahl des Scheinwerfers erhellte Teile der Hausruine, als Nora drehte.
Sie winkte Janine kurz zu. Die ältere Frau winkte zurück. Sie lächelte, obwohl in ihren Augen Tränen glitzerten…
***
Ich hatte ihn nie gesehen und nur von ihm gehört. Ich kannte seine Macht, von der immer geredet worden war. Er war irgendwie ein Phantom gewesen, und ich war nahe an ihn herangekommen, aber nicht so wie jetzt auf diesem Friedhof.
Es war schwer für mich, ihn überhaupt zu begreifen. Damals war er ein Joker in einem brisanten Spiel gewesen. Es war eine Gestalt, um die sich Mythen und Legenden rankten, die man sich aber heute noch in Äthiopien erzählte, wo er verehrt wurde.
War er gut, war er schlecht? Jedenfalls war er ein Prinz mit großen, unheimlichen Augen, der vor seinem Halbbruder Harbay ins Exil fliehen mußte. Er hatte sich die Stadt Jerusalem ausgesucht, aus der er 1185 wieder zurück in seine alte Heimat kehrte. Dort übernahm er die Macht und baute eine mächtige Felsenkirche, wobei ihm die Templer halfen. Es waren die versprengten Kreuzzügler gewesen, die es von Jerusalem aus in Richtung Süden verschlagen hatte. In seinem Exil hatte Lalibela von der Bundeslade gehört. Er war jemand, der an ihre Macht glaubte. Und er schaffte es, sie in seinen Besitz zu bringen. In seiner Felsenkirche bewahrte er sie auf, aber dort blieb sie nicht für den Rest der Zeiten. Sie wurde an einen anderen Ort in Äthiopien gebracht. Vergessen war Lalibela trotzdem nicht. Seine Anhänger setzten ihm ein Denkmal in Form einer Säule, innerhalb der alten Felsenkirche. Ich hatte die Säule gekannt, in die das Blut der Feinde hineinlief. Mir war es gelungen, sie mit dem Schwert des Salomo zu zerstören, aber nicht die Macht des Lalibela, denn er hatte auch noch nach seinem Tod auf seine Anhänger gewirkt. Sie hatten sich an seinem Blut gelabt, und sie glaubten an die Unsterblichkeit dieses »Gottes«, der bereits im Kindesalter von drei Jahren von seinem Halbbruder hatte vergiftet werden sollen. Drei Tage und drei Nächte hatte er im Koma gelegen, bis Engel gekommen waren, die ihn mit in ihre Welt genommen und ihn so gerettet hatten.
Ich wußte nicht, wie er damals einzuschätzen gewesen war. Jedenfalls war er ein mächtiger Herrscher gewesen. Er mochte früher auch auf der Seite des Guten gestanden haben, doch das hatte sich später verändert. Er war stets auf der Jagd nach der Bundeslade gewesen und wußte auch sicherlich, wo er sie finden konnte, doch an die Lade selbst
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