1136 - Das Blut der Bernadette
zwei weiteren kleinen Schritten hatte sie die Figur erreicht. Sie streckte ihre Arme aus.
Sie streichelte das Toten-Denkmal und begann zu schluchzen, als die Finger die feuchte Stelle berührten, die das Blut hinterlassen hatte. Sie stöhnte auf, sie schwankte, starrte ihre Hände an und flüsterte: »Wer hat das getan? Wer hat dir so weh getan, Bernadette? Warum in dieser Nacht, in der du zu uns zurückgekehrt wärst, um zu zeigen, daß man dich nicht töten kann. Du bist als Engel zu uns gekommen, und du wirst als Engel bei uns leben.«
Sie konnte sich nicht mehr zusammenreißen. Mit ihren Armen umfasste sie die starre Gestalt, als wäre diese noch am Leben. Sie drückte sich an sie, und so musste ich den Eindruck haben, zwei Liebende vor mir zu sehen.
Täuschte ich mich oder bewegte sich die Figur tatsächlich?
Sie ruckte - ja, jetzt sah ich es genau. Mit einer unwahrscheinlichen Kraftanstrengung bewegte sie sich, und auch der Sockel, auf dem sie stand, geriet ins Schwanken. Herausgezogen haben konnte ihn die Oberin bestimmt nicht.
Ich zog mich zurück. Wenn der Typ nicht in der Nähe gewesen wäre, hätte ich schon längst eingegriffen. Aber er war noch da, denn er meldete sich mit schriller Stimme.
»Ich habe Louis gefunden! Er liegt hier, verdammt! Er ist bewusstlos. Hörst du, Bernadette?«
Sie hörte ihn, aber sie kümmerte sich nicht darum. Die Oberin war einzig und allein mit ihrer verdammten Figur beschäftigt, von der sie glaubte, dass sie wieder ins Leben zurückkehren würde.
Kid hatte jetzt den Ort verlassen, an dem sein Kumpan lag. Ich hatte mich etwas vom Kopfende des Grabs entfernt, um einen besseren Überblick zu bekommen.
Der Typ hatte die Übersicht verloren. Er lief im Zickzack zwischen Haus und Grab hin und her.
Geschossen hatte er noch nicht, aber er stand nicht weit von mir entfernt. Für die Oberin hatte er keinen Blick mehr. Ihm schien aufgegangen zu sein, dass noch jemand anderer hier im Hintergrund lauerte.
Wieder griff ich zu einem Stein. Diesmal war er glatt. Ein großer Kiesel, der gut in meiner Hand lag und mit dem ich auch zielsicher werfen konnte.
Ich holte aus und schleuderte den Stein.
Diesmal prallte er nicht neben dem Mann auf. Er traf da, wo ich es auch gewollt hatte.
Zwischen Ohr und Hals wurde der Kerl erwischt. Der Schmerz war groß, die Überraschung aber auch, und so jagte ich auf ihn los, ohne von ihm angegriffen zu werden. Ich wollte ihn nicht erschießen, es war schon genug Blut geflossen.
Diesmal war ich nicht schnell genug. Der Typ sah mich zu früh. Er war auch nicht angeschlagen genug, um nicht sofort zu merken, was da auf ihn zukam.
Sofort riss er die Waffe hoch, er zielte auf mich, das heißt, so ganz konnte er die Mündung nicht in meine Richtung schwenken, denn ich sprang ihn an.
Der Tritt erwischte seine Waffenhand und schleuderte den Arm in die Höhe. Der Typ selbst wankte zurück. Ich hatte längst wieder festen Boden unter beiden Füssen, und den nächsten Angriff führte ich mit beiden Händen durch.
Der Kerl war zäher als ich dachte, denn er hielt seine Waffe noch fest. Ich hatte sein Handgelenk mit beiden Händen umklammert und rammte den Arm zuerst in die Höhe, um ihn dann zu drehen und nach hinten zu biegen.
Der gellende Schrei hallte durch die Dunkelheit und zerriss die Stille. Die Waffe entfiel seiner Hand, der Mann sank zu Boden, wobei ich ihn immer noch festhielt. Er krümmte sich im Knien und schaute aus wässrigen Augen zu mir hoch.
Ich gab ihm mit der Beretta den Rest.
Der gezielte Schlag gegen den Kopf raubte ihm das Bewusstsein. Dieser Typ würde keinen mehr umbringen. Ebenso wie seinen Kumpan hielt ich die beiden für dreifache Mörder.
Ich hätte ihnen noch gern Handschellen angelegt, dafür war jedoch keine Zeit mehr, denn ich musste mich um jemand anderen kümmern.
Langsam drehte ich mich um.
Ich schaute auf das Grab und sah eine Szene, mit der ich nicht gerechnet hatte…
***
Zweimal Bernadette!
Zum einen die Lebende, zum anderen die Tote, bei der ich allerdings auch nicht wusste, ob sie nun tatsächlich tot war oder sich in einem Zustand zwischen Leben und Tod befand. Jedenfalls stand die Figur nicht mehr genau an der gleichen Stelle. Sie hatte sich zusammen mit ihrem Sockel auf dem Grab gedreht oder war gedreht worden. Genau hatte ich das nicht gesehen. Aber es war etwas geschehen, denn die Oberin schaffte es, die Steingestalt von ihrem Sockel zu ziehen. Sie sprach auch mit ihr, und ihre Stimme hatte sich
Weitere Kostenlose Bücher