1139 - Das Herz der Jungfrau
McMurdock war ein großer, stattlicher Mann mit dunklen Haaren und Bart. Wäre er in einem Zuhause gewesen, hätte er sich beides gestutzt, so aber waren Bart und Haare lang und gaben ihm ein verwegenes Aussehen.
Er, der Schotte, hatte an Johannas Seite gekämpft, und er wäre auch für sie in den Tod gegangen. Nun aber war sie gestorben.
Nicht im Kampf, sondern auf einem Scheiterhaufen, verurteilt durch ein Gericht, das mit Menschen besetzt gewesen war. Menschen, die nicht begreifen wollten. Man hatte ein Exempel statuieren wollen, und die Kirche hatte dazu genickt.
Sein Ziel war das Haus mit dem sehr flachen Dach. Es duckte sich in die Senke hinein, als wollte es sich im Boden verstecken. Wenn sich jemand hinter den Mauern aufhielt, dann war er längst gesehen worden. Vor dem Bewohner der Hütte fürchtete er sich nicht. Ganz im Gegenteil, die Frau, die Gabriela hieß, war seine große Hoffnung.
Wenn sie ihm nicht weiterhelfen konnte, dann niemand.
Er klopfte auch nicht an, sondern zerrte die etwas sperrige Tür auf.
Dann musste er sich ducken, um das Haus zu betreten, das nur aus einem Raum bestand und aus dem Dach, zu dem eine Leiter hoch führte. Man musste sich durch eine Luke drücken, um das Dach zu erreichen.
Der Kamin lag von der Tür aus gesehen an der rechten Seite. Und dort hockte die Frau auf einem Hocker. Die Frau saß einfach nur da und schien auf die Ewigkeit zu warten.
Er ging auf sie zu. Erst als er dicht vor ihr stand, hob sie den Kopf.
Sie saß so günstig, dass ein durch das Fenster fallender Sonnenstrahl gegen ihr Gesicht tupfte und Dean McMurdock es gut erkennen konnte. Ein altes Gesicht mit vielen Falten, aber noch sehr klaren Augen, die sich auf ihn konzentrierten.
»Gabriela?« fragte er leise.
»Das weißt du doch.«
Dean McMurdock atmete auf. Erst jetzt wusste er, dass er den richtigen Weg eingeschlagen hatte…
***
Sie war eine schon alte Frau, und sie hatte viel in ihrem Leben gesehen. Als Frau mit dem zweiten Gesicht war sie bekannt und an sie hatte auch Johanna geglaubt und sie oft besucht, wenn sie einen bestimmten Rat gewollt hatte.
»Du fühlst dich erfrischt?«
»Ja, das bin ich.« Er glaubte noch das köstliche Nass zu schmecken, das er in der Hütte gefunden und getrunken hatte.
»Sag mir deinen Namen.«
»Dean McMurdock.«
»Du bist Schotte?«
»Ja. Ich habe zur Schottischen Garde unserer Johanna gehört. Es ist ein langer Weg gewesen. Manchmal habe ich gedacht, es nicht zu schaffen, aber jetzt bin ich bei dir, und ich freue mich darüber. Viel wurde über dich gesprochen. Auch Johanna hat dich oft erwähnt. Sie liebte dich wie eine Tochter ihre Mutter.«
»Ach, das ist übertrieben. Man hat ihr übel mitgespielt, und wir können sie nicht mehr zurück ins Leben holen. Aber so ist das Leben. Der Kirche und dem Staat darf niemand zu mächtig werden. Dann wächst der Hass, dessen Ende der Tod ist.«
»Man hat sie verbrannt. Man hat sie dem Feuer übergeben.« Dean schüttelte den Kopf. »Ich kann es noch immer nicht begreifen, wo man sie zu lebenslanger Haft verurteilte. Warum diese Veränderung?«
»Johanna widerrief ihr Geständnis.«
Der Mann lachte auf. »Was hatte sie denn zu gestehen gehabt? Es war nur die Wahrheit.«
»Die Menschen wollen sie aber nicht hören. Das war schon immer so, und das wird auch so bleiben. Glaube mir, ich kenne die Menschen sehr gut, mein Freund.«
»Wie auch Johanna.«
»Ja, sie kam oft zu mir. Sie war sogar noch ein Kind, aber da hatte sie bereits die Stimmen gehört. Die Engel, die zu ihr sprachen, wie sie immer sagte. Sie wollte von mir mehr wissen, doch ich konnte ihr nicht helfen. Ich war einfach zu schwach. Ich hatte nicht den Einblick, doch ich sagte ihr, dass sie nicht nur etwas Besonderes wäre, sondern auch zu etwas Besonderem berufen war. Und sie hat es auch geschafft, Orléans von der Knute der Engländer zu befreien, doch man hat es ihr nicht gedankt. Man hat sie vergessen, und ihre wahren Freunde waren einfach zu schwach, um ihr zu helfen. Du brauchst mich nur anzuschauen, wie ich hier vor dir sitze.«
Dean McMurdock nickte. Er spürte wieder den Hass und auch den ohnmächtigen Zorn in sich hochsteigen, denn selbst ihm war es nicht gelungen, Johanna aus der Gefangenschaft zu befreien. Letztendlich hatte man seine Königin den Flammen des Scheiterhaufens übergeben, wo sie unter unsäglichen Qualen verbrannt war.
»Die Zeiten sind noch immer schlimm«, flüsterte Gabriela, »und sie werden auch schlimm
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