1152 - Prinzessin Blutleer
Das hatte das Wesen noch in Erinnerung. Über diese Treppe kam der Besucher.
Die Zeit der Depression war für das Wesen vorbei. Es raffte sich wieder auf, gelangte aber nicht auf die Füße, sondern zog sich etwas von der Tür zurück. Allerdings nur so weit, dass es die Schritte noch hören konnte.
Sie verstummten vor der Tür!
Das Wesen kniete jetzt breitbeinig auf dem Boden. Obwohl es nichts sehen konnte, war sein Blick auf die Tür gerichtet. Es spürte auch, dass die tiefe Dunkelheit verschwunden war. Da musste es Licht geben, auch wenn nichts durch die Ritzen sickerte.
Noch nicht…
Ein dumpfer Laut schreckte das Wesen so sehr auf, dass es einen Moment lang zitterte.
Von außen her hatte jemand gegen die Tür geschlagen, als sollte eine Botschaft übermittelt werden.
Warten, nichts als warten. Gewartet hatte das Wesen schon immer, doch es hatte sich nie damit abfinden können. Plötzlich wusste es, dass die Warterei ein Ende hatte. Irgend jemand war gekommen, um es zu befreien. Wer immer es auch war, er würde mit offenen Armen empfangen werden, aber auch durch die Blutgier des Wesens, denn er würde den Saft mitbringen, den es brauchte.
Es war kein Schrei zu hören und auch keine Stimme. Kein Flüstern, kein Atem. Dafür ein Schaben, als sich die Tür bewegte und das seit langer, langer Zeit das erste Mal.
In diesem Augenblick wusste das Wesen, dass die lange Zeit der Gefangenschaft vorbei war. Es würde wieder in das normale Leben eintauchen und dort seine Zeichen setzen.
Die Tür öffnete sich weiter. Schwerfällig rutschte sie mit der unteren Seite über den Boden hinweg. Dabei nicht fließend, sondern intervallweise. Immer wieder ruckend, und dem Wesen gelang der erste Blick ins Freie.
Es fühlte sich schwach. Trocken. Auch leer. Trotz dieser Schwäche hätte es den Angriff gewagt und sich auf den Besucher gestürzt. Es wäre ihm an die Kehle gegangen, aber das passierte nicht. Es blieb hocken, es starrte nur nach vorn und hinein in das Licht, das von einer Fackel her über die Schwelle des Verlieses strömte und tanzende Schatten erzeugte.
Im Licht stand der Ankömmling. Der Besucher und zugleich auch der Befreier.
War er ein Mensch? Sah er aus wie ein Mensch? Ja, er sah so aus. Zugleich aber strömte etwas von ihm ab, dass das Wesen nicht einordnen konnte. Dieser Strom oder diese Aura sorgte innerhalb eines kurzen Augenblicks dafür, dass der Wille und der Widerstand des Wesens brachen. Es hatte vorgehabt, sich auf den anderen zu stürzen. Das war nun vorbei.
Das ging nicht, war nicht zu schaffen, weil der andere, der Befreier, anders war als ein normaler Mensch.
Er war wie das Wesen.
Aber er war besser!
Das Wesen kniete am Boden und zitterte. Es spürte eine Furcht, die geboren wurde durch die Macht des anderen. Es war plötzlich ein Zittern da, und das Wesen kam sich so klein vor wie die Käfer, die in diesem Verlies ihre Heimat gefunden hatten.
Der Ankömmling stand im Gegenlicht. Breit, groß, mächtig. Eine Figur, die aus dem Schattenreich gekommen war und selbst ihre Düsternis nicht verloren hatte.
In Schwarz gekleidet. Ein Umhang. Ein Gesicht, das im Gegensatz dazu bleich glänzte.
Aus ihm hervor stach eine leicht gekrümmte Nase, waren die Lippen sehr schmal und zusammengepresst, beulte sich das Kinn nach vorn hin aus und waren die Augen mit zwei dunklen Teichen zu vergleichen, die in den Höhlen schwammen. Das alles verblasste unter dem Zeichen auf seiner Stirn. Genau in der Mitte malte sich das blutrote D ab, mit dem das Wesen nichts anzufangen wusste.
Sein Vorhaben hatte es längst aufgegeben. Die Gier nach Blut war noch vorhanden, aber sie würde nicht bei diesem Besucher gestillt werden. Er sah aus wie ein Mensch, aber er war kein Mensch, ebenso wenig wie das Wesen. Er gehörte dazu, denn er war ebenfalls jemand, der sich vom Blut anderer ernährte.
Er war ein Vampir!
Obwohl das Wesen voller Hoffnung auf frisches Blut gewesen war, sackte diese Hoffnung nicht völlig zusammen. Der Besuch des mächtigen Vampirs hatte seinen Grund, und das Wesen spürte, dass die Zeit der großen Finsternis vorbei war.
Der Besucher war auf der Schwelle stehen geblieben. Er füllte den Umriss völlig aus und musste einen kleinen Schritt nach vorn in das Verlies hineingehen, um sich überhaupt aufrichten zu können. Dabei berührten die glatten, schwarzen Haare beinahe die Decke, als wollten sie dort die alten Spinnweben abwischen.
Er brachte etwas mit. Nicht nur sich selbst und seine
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