1152 - Prinzessin Blutleer
Aura. Ein anderer Geruch strömte in das Verlies hinein, den das Wesen so lange schmerzlich vermisst hatte.
Der Geruch nach Blut - nach Menschenblut. Der Saft, die Kraft, all das Wunderbare, das sich in ihm vereinte. Zugleich war es auch der Geruch nach Leben.
Das Fackellicht brannte im Gang hinter dem Besucher. Es umgab die Gestalt mit seinen huschenden Schatten und zugleich einem gelblich roten Schein, der sich auch auf dem bleichen Gesicht verlor und ihm eine Art von Leben gab.
Er öffnete den Mund. Er sprach zu ihr. Und was er sagte, jagte einen Stoß an Gefühlen in ihr hoch.
»Gunhilla…«
***
Das Wesen schüttelte den Kopf. Es riss seinen Mund weit auf. Die Augen ebenfalls. Alles war anders geworden, das Wesen war selbst nach dieser langen Zeit im Verlies noch überrascht worden.
Der Vampir kannte ihren Namen.
Gunhilla - ja, so hieß sie. Sie hatte den Namen schon beinahe vergessen, doch jetzt war durch sein Sprechen alles wieder in ihr hochgekocht. Die Vergangenheit war lebendig geworden. Erinnerungen huschten als Bilder an ihren Augen vorbei wie Momentaufnahmen. Sie sah sich. Sie sah sich tanzen, sie sah sich trinken und das Blut in sich hinein schmatzen.
Es war so wunderbar, dass dieser eine Name wieder alles so lebendig gemacht hatte.
Sie wollte etwas sagen. Sie wollte den Besucher umarmen, aber sie war einfach zu schwach. So blieb sie breitbeinig auf dem Boden knien und hielt den Kopf gesenkt. Diese demütige Haltung wollte sie einfach einnehmen, um den anderen nicht zu provozieren.
»Gunhilla!« Er sprach ihren Namen noch einmal aus, und sie hob den Kopf an, um in sein bleiches Gesicht schauen zu können. Erst dann nickte sie.
»Ich habe dich gesucht und gefunden. Ich wusste von dir. Ich bin gekommen, um dich zu befreien. Ich will dich in meinem Kreis aufnehmen. Ich will alle meine Freunde aus den Gefängnissen und Verliesen hervorholen, um die Armee aufbauen zu können. Es ist mir ein Bedürfnis, dich wieder so stark zu machen wie früher. Ich will nicht mehr, dass du leidest, Gunhilla. Man soll sich wieder an dich erinnern, wie man es damals auch getan hat. Du bist eine andere Person geworden, aber du hast dein Schicksal nicht verdient.«
Gunhilla hatte jedes Wort verstanden. Sie konnte es nicht glauben. Sie war einfach zu schwach. Sie spürte, dass die Finsternis draußen allmählich ihre Kraft verlor. Die Müdigkeit würde über sie kommen und sie dazu zwingen, ruhig zu sein.
So war es in der langen Zeit immer gewesen, aber diesmal kämpfte sie dagegen an, obwohl sie nicht einmal ihren Kopf ruhig halten konnte und er von einer Seite zur anderen pendelte.
Ihr Mund hatte sich leicht geöffnet.
Die einst so vollen roten Lippen waren bleich geworden und hoben sich von der Haut kaum ab. Ihr Gesicht war in ein tiefes Grau eingegangen, und das ehemals blonde Haar war jetzt fahl und strähnig und lag flach auf ihrem Kopf.
Sie sprach nicht. Sie hätte gern viel gesagt, doch dazu war sie zu schwach. Sie hörte, wie etwas über den Boden hinweg schabte, und deshalb hob sie den Kopf.
Ihr Retter hatte sich gebückt und etwas auf den Boden gestellt, das er jetzt vorschob. Es war eine runde Schale, auf die er einen Deckel gelegt hatte. Mit dem Fuß schob er sie nähre an Gunhilla heran und begleitete diese Tat mit den Worten, die der Blutsaugerin Mut machten. »Nimm es. Es gehört dir. Es wird dich stark machen. Danach wirst du in meinem Sinne handeln. Du wirst mich nie vergessen, und ich werde dir jetzt meinen Namen sagen. Ich bin nicht Dracula, aber ich nenne mich Dracula II. Hast du gehört? Dracula II.«
Sie nickte oder glaubte, es getan zu haben. Es war eben nur eine schwache Bewegung des Kopfes. Nur senkte sie ihn danach nicht mehr. Auch wenn es sie Mühe kostete, hielt sie ihn normal hoch und sah deshalb, dass sich ihr Besucher zurückzog. Dabei lag ein Lächeln auf dem Gesicht, und er hatte seine Lippen zurück und die Oberlippe in die Höhe gezogen, so dass Gunhilla die Zähne einfach sehen musste. Sie waren hell, sogar sehr weiß, und zwei von ihnen zeigten eine große Besonderheit. Sie liefen spitz zu, und das waren die gleichen Zähne, wie Gunhilla sie auch besaß.
Jetzt wusste sie, dass sie zusammengehörten, und es tat ihr noch einmal sehr gut.
»Vergiss meinen Namen nicht!« sagte der Besucher zum Abschied. »Vergiss ihn nie…«
»Nein, ich… ich schwöre.« Sie wollte eine Hand heben, aber sie war zu schwach. Nur ein kleines Stück bekam sie die Hand vom Boden hoch, dann
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