1152 - Prinzessin Blutleer
über den Rand hinweg, und sie sah es wie eine rote Suppe an der Außenseite entlang laufen.
Bevor der erste Tropfen den Boden erreicht hatte, fing sie ihn mit der Zungenspitze ab.
Für die Vampirin war es wie ein Schock der positiven Sorte. Und wenn es auch nur ein Tropfen war, der über die Zunge floss und die Bilder der Erinnerung in ihr hochsteigen ließ.
Es waren Szenen, die rasch wieder verschwanden und sie trotzdem nervös gemacht hatten.
Ein Tropfen reichte nicht. Alles wollte sie haben, einfach alles. Die Schale leertrinken und den Grund noch leerschlecken. Erst wenn sie das geschafft hatte, würde wieder das in ihr zurückkehren, das sie so lange vermisst hatte.
Sie hob die Hände leicht an und kippte sich die Schale entgegen. Dabei hatte sie zuviel Schwung gegeben. Ein Teil des Schwalls klatschte gegen ihr Gesicht, und nicht alles Blut floss in den weit geöffneten Mund.
Der erste Schluck schon sorgte für eine Veränderung in ihrem ausgemergelten Körper. Da rieselte etwas hindurch. Es war eine Wärme, die sie so lange vermisst hatte. Die Wärme des Vampirs, der verdammten Blutsauger, die darauf fixiert waren.
Ein Wunder der alten Magie, der Kraft des Blutes, das noch so viele Geheimnisse in sich barg. Viele Menschen hatten versucht, es zu erklären, nur den wenigsten war es gelungen.
Auch weiterhin blieb die Macht des Blutes ein großes Geheimnis, an dem Gunhilla jetzt endlich wieder teilnahm.
Sie trank. Sie schluckte, sie schlürfte. Sie hatte ihr Gesicht in der Schale vergraben. Sie bewegte ihre Zunge. Sie saugte das Blut nicht nur durch den Mund ein, sondern zog es auch durch ihre verkrusteten Nasenlöcher hoch.
Es war für sie das große Leben, das sie nun genießen konnte. Die schlimmen Zeiten waren vorbei. Sie würde wieder an Kraft gewinnen und so werden wie damals, als alles noch so glorreich gewesen war.
Es tat ihr wahnsinnig gut, und die Schale leerte sich immer mehr. Gunhilla bewegte ihr eingetauchtes Gesicht, und schon bald spürte sie den Widerstand des Schalenbodens. Dort klebte das restliche Blut noch als Schmier, aber sie wollte keinen einzigen Tropfen vergeuden. Deshalb leckte sie weiter. Holte alles aus der Schale hervor, was den Boden bedeckte. Sie war einfach nicht zu halten und befand sich in einem regelrechten Rausch.
Es tat ihr gut. Es tat ihr so wahnsinnig gut. Das Blut war für sie das Elixier des Lebens, und Leben bedeutete zugleich eine Kraft, auf die sie so lange hatte verzichten müssen.
Jetzt war sie wieder zurückgekehrt und steckte in ihr. Für sie war es ein Wunder, vor dem sie große Achtung hatte. Sie liebte sich wieder selbst, und sie wusste auch, dass sie ihr Leben so weiterführen würde wie damals zu ihrer großen Zeit.
Auf dem Bauch liegend robbte sie ein kleines Stück zurück. Es gefiel ihr nicht, dass zuviel Blut auf dem Boden gelandet war. Keinen einzigen Tropfen wollte sie vergeuden.
Deshalb streckte sie sich und ließ ihr Gesicht mit der ausgestreckten Zunge über die Blutreste schweben.
Sie leckte.
Die Zunge bewegte sich dabei so schnell wie die einer Katze, wenn sie Wasser trank.
Wieder entstand das Schlürfen und Schmatzen, das ihr so unwahrscheinlich gut tat. Jeden einzelnen Tropfen leckte sie auf, und es war ihr auch egal, dass damit Staub und selbst kleinere Steine in ihren Mund gerieten.
Schließlich war der Boden leer. Kein einziger Tropfen lag mehr auf den alten Steinen, da konnte sie ihren Blick hinwenden, wo sie wollte, Gunhilla sah nichts.
Sie blieb noch eine Weile liegen. Jetzt aber war es ein anderes Liegen. Kraft pulste durch ihren Körper. Es war so wunderbar. Ein gewaltiger Fluss, der sich nicht mehr stoppen lassen würde. Und sie merkte, dass etwas mit ihrem Körper geschah. Er blühte auf. Die alte, dünne und graue Haut bekam wieder Kraft. Gunhilla würde nicht mehr nur auf dem Boden liegen und vor sich hin jammern. Jetzt konnte sie nur nach vorn schauen. Leben. So existieren, wie schon einmal, und plötzlich schwang sie sich mit einer ruckartigen Bewegung in die Höhe, um auf die Beine zu kommen.
Es klappte einfach perfekt. Es war so wunderbar. Sie ging und taumelte nicht einmal.
Gunhilla warf den Kopf zurück, starrte gegen die Decke und schrie ihren Triumph hinaus.
»Ich bin wieder da!«, brüllte sie. »Ich habe die lange Zeit überstanden. Es gibt mich wieder…«
Sie tanzte. Sie schüttelte den Kopf. Sie lachte schallend in die Finsternis hinein, um sich wenig später einmal zu drehen, weil sie das neue Ziel
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