1159 - Seth-Apophis
sich, was den Kraftaufwand anbelangte, in nichts von einer Jetstrahl-Reise über nur wenige hundert Lichtjahre. Wie müde sie war, hing lediglich davon ab, ob sie am Ziel der Reise eine intelligente Spezies vorfand und wie intensiv sie sich mit ihr beschäftigte. Die Steuerung des Jetstrahls erforderte offenbar keine Kraft. Aber jedes Mal, wenn sie sich mit der intelligenten Spezies einer fremden Welt befaßte, hinterließ sie dort einen Bruchteil ihrer Mentalenergie. Anders ließ sich das Phänomen nicht deuten.
Diese Erkenntnis erfüllte sie mit Zuversicht. Ohne Bedenken ließ sie den Jetstrahl durch die Abgründe des Raumes wandern. Ihre besondere Aufmerksamkeit wandte sie der kleineren der beiden Großgalaxien zu, die zu der zehn Millionen Lichtjahre entfernten Gruppe gehörten. Es gab dort eine bemerkenswerte Konzentration intelligenten Lebens.
Bei weitem die Mehrzahl der Zivilisationen, die Seth-Apophis mit dem Jetstrahl abtastete, staken noch tief in der Primitivität. Aber das bedeutete ihr wenig. Ihre Planung umfaßte Zeiträume von Jahrmillionen, Wenn es an der Zeit war und die Primitivgesellschaften der fremden Galaxis sich zu hochtechnifizierten Kulturen entwickelt hatten, würde sie auf sie zurückgreifen.
So dachte sie zunächst. Aber auf einer ihrer Jetstrahl-Reisen hatte sie eine Begegnung, die ihr Selbstvertrauen ins Wanken brachte. Sie hatte wie üblich den Strahl frei spielen lassen und darauf gewartet, daß er von einer mit intelligenten Kreaturen bevölkerten Welt angezogen würde. Inzwischen hatte sie gelernt, dem Jetstrahl nur einen kleinen Bruchteil ihrer Bewußtseinssubstanz anzuvertrauen. Für Beobachtungszwecke war das ausreichend, dabei vergewisserte sie sich gleichzeitig, daß ihr die Kontrolle der unmittelbaren Umgebung nicht aus der Hand geriet. Als der Strahl ein vielversprechendes Ziel gefunden hatte und stillhielt, konzentrierte sie sich auf das Bild, das ihr durch den Jetstrahl übermittelt wurde.
Wie damals bei ihrem ersten Versuch, als sie den Unquitor eine flammende Strafpredigt hielt, sah sie unter sich eine freundliche, paradiesische Welt. Hier hatte die Technik noch nicht Fuß gefaßt. Nirgendwo unterbrach die Fläche eines Raumhafens, nirgendwo das Band einer Straße die Harmonie der Natur. Am Fuß einer schroff ansteigenden Felswand, auf einem Geröllfeld, nahm sie Bewegung wahr. Das Bild, das ihr der Jetstrahl übermittelte, war variierbar in der Fokussierung. Sie erblickte eine Rotte kleiner, braunhäutiger, haariger Gestalten, die steineschleudernd einer in die Enge getriebenen Herde von gehörnten Tieren zu Leibe rückte. Sie schickte sich an, Kontakt mit den Bewußtseinen der primitiven Humanoiden aufzunehmen, als sie die Stimme hörte: „Du bist auf fremdem Gebiet. Ich warne dich. Achte die Grenzen, die andere gezogen haben, ebenso wie du von anderen erwartest, daß sie die deinen achten."
Das war ernst gesprochen. Die Mentalimpulse materialisierten unmittelbar in dem vom Jetstrahl gestützten Bewußtseinsteil.
„Wer bist du?" fragte sie. „Und wo verläuft deine Grenze?"
„Ich bin ein Namenloser", kam die Antwort. „Ein Wesen wie du. Nenne mich Wanderer, wenn du unbedingt einen Namen brauchst. Wie soll ich dir den Verlauf meiner Grenzen beschreiben, wenn ich nicht weiß, nach welchen Maßstäben du mißt? Du befindest dich auf meinem Gebiet. Kehre zurück dorthin, wo nur dein Anspruch gilt."
Seth-Apophis war verwirrt. Der Gedanke, daß es andere Wesen ihrer Art geben könne, war ihr nie gekommen. Ihr Werdegang war von einer Folge derart unwahrscheinlicher Zufälle geprägt, daß es schwerfiel zu glauben, die Natur könnte eine zweite Kreatur ihres Typus hervorgebracht haben. Die Stimme des Fremden klang besonnen und doch entschlossen. Es wohnte ihr eine Kraft inne, die Seth-Apophis unsicher machte. Sie war gekommen, um zu spähen. Auf eine Auseinandersetzung war sie nicht vorbereitet. Für den Augenblick zumindest war es klug, wenn sie einlenkte.
„Ich suche keinen Streit mit dir, Wanderer", sagte sie. „Ich wußte nicht, daß du auf diesen Bereich Anspruch erhebst. Ich ziehe mich zurück. Aber ich bin sicher, wir werden einander wieder begegnen."
„Das ist wahrscheinlich", antwortete der Fremde. „Ich wünschte nur, es könnte in Frieden geschehen."
„Wird es das nicht?" fragte Seth-Apophis verwundert.
Der Wanderer wich der Frage aus. „Die Natur verfolgt einen bestimmten Plan", sagte er. „Sie schichtet eine Entwicklungsstufe über die andere
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