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116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

Titel: 116 Chinesen oder so: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Heams-Ogus
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andere geworden, aber man kann zwei Worte nicht gleichzeitig aussprechen, wenn man das tut, vernichtet man sie, man kann nicht ein Wort über ein anderes schreiben, Redundanz, das ist ein durchgestrichenes Leben, das ist ein Wort, das mit der Tinte des anderen Wortes zunichtegemacht wird, das auf sein Skelett reduziert wird, Knebel und Atemzug, Atemzug und Knebel. Kiefer, die sich selbst zerkleinern und das Leben zermalmen. In diesem klaffenden Spalt mussten sie durchhalten, auch wenn sie damit selbst zu einem Teil des giftigen Prozesses wurden, der sie zerstörte. Damit das Durchhalten, das Weiterbestehen gelang, gab es keine Methode, lediglich Versuche: Und vor allem bedeutete durchhalten, diesen Grenzen zu entkommen, nach der Angst vor der Leere dazwischen zu suchen wie nach einem Gral und in diese Leere einzutauchen, die vorübergehende Möglichkeit auszuloten, so weit wie möglich von jeder dieser Grenzen entfernt zu sein. Diese Bewegung in ihrem Inneren, dieses innere Abtauchen übertrug sich auch auf ihren Körper, der diese Energie anzog und in wirkliche Bewegung verwandelte, so sehr, dass sie sie schließlich definierte, sie waren unaufhörlich in Bewegung, und es war egal, ob Augen auf ihnen ruhten oder ob ihre unnötigen Wege Erstaunen hervorriefen, egal, anstatt nur Seelen und Zeichen zu sein, mussten sie doch auch Körper sein, und zwar eben jene Körper, die man beschlossen hatte einzusperren, und diese Körper mussten sie spüren, sie mussten sie an diese innere Leere anschließen, sie mussten von ihnen verlangen, dass sie den Drang, zu sein, begleiteten, indem sie ebenfalls umhergingen. Keine Pausen machen, auch dann weitergehen, wenn nichts und niemand es verlangte, die Umgebung erkunden, sichtbar sein und gesehen werden, das bedeutete, nicht zu verharren, das bedeutete, zu sein, und zwar über die Grenzen hinaus, sie verhöhnen, Umwege gehen, durchhalten, am Abgrund stehen und standhalten, gehen bedeutete, da zu sein, aber etwas weniger unter Zwang zu stehen, es bedeutete, nicht steckenzubleiben, es bedeutete, einen Schrei an die Oberfläche seines Selbst steigen zu lassen, dahin, wo der Körper endet und die Welt beginnt, aus seinem tiefsten Inneren heraus, und es spielte keine Rolle, ob es ein kläglicher Schrei war, es ging darum, ihn hervorzubringen, gehen, unterwegs sein, das bedeutete, ein Schrei zu sein.
     
    Ihre Tage waren Fragmente. Es gibt ein Gefühl, das man erst ermessen kann, wenn es nicht mehr da ist – wie wohl es tut, wenn man den Eindruck hat, dass das eigene Leben eine Stetigkeit besitzt. Morgens aufzuwachen mit einer Geschichte, einem in dieser Geschichte verankerten Ziel, das auch bis in den nächsten Tag hineinreicht. Es geht dabei aber um etwas ganz anderes als um die Bequemlichkeit eines wohlgeordneten, hervorsehbaren Lebens: Selbst in widrigen Umständen oder im Elend ist dieses Leben in Form eines Seils, das hält und anhält, das Pläne erlaubt und existiert, ein notwendiges Hintergrundgeräusch. Aber obwohl sie in Isola oberflächlich betrachtet ein so einfaches Dasein führten, war es genau das, dieses stetige Leben, das von Innen her aufgefressen wurde. Jeder einzelne Tag eines jeden von ihnen war überflüssig, austauschbar, veränderbar. Es konnte sein, dass es an einem Tag nichts zu tun gab, dann folgten vielleicht drei, an denen eine Scheune auszuräumen war, dann nichts, dann ein Morgen, an dem sie den Anstrich einer Tür erneuern oder Holz hacken mussten. In beliebiger Reihenfolge. Wenn man zum Beispiel auf den vergangenen Monat zurückblickte, überkam einen unweigerlich das Gefühl, eine Masse sei herabgestürzt und hätte das Versprechen eines stetigen Lebens in unendlich viele Splitter zerschlagen, die hier die Form einer Stunde, woanders die Form einer plötzlich zusammengeschnürten Kehle, woanders wiederum die Form eines Tages angenommen hatten, je nach Zufall. Das alles hatte sich augenscheinlich zwar im Zwang der Zeit zur Linearität aneinandergereiht, aber eigentlich waren diese Tage einfach so über ihrem Leben ausgekippt worden und lagen völlig verstreut darauf herum. Es gab aber auch eine schwer zu verstehende, geheimnisvolle Empfindung, die sie, ohne dass es ihnen bewusst war, miteinander verband und die auf dieses in die Brüche gegangene Leben zurückzuführen war, auf seinen Geschmack nach Glaspapier. Sie alle widersetzten sich dieser willkürlichen und totalitären Aneinanderreihung. Mit dieser Zeit hatten sie nichts mehr zu tun, sie hatten

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