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116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

Titel: 116 Chinesen oder so: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Heams-Ogus
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sich davon abgekoppelt. Sie trugen eine unterirdische Karte in sich, auf der Labyrinthe und Geheimgänge zwischen weit auseinanderliegenden Augenblicken verzeichnet waren, die diese miteinander verbanden und ihnen einen Sinn verliehen. In diesen Katakomben konnte ein an einer Straßenbiegung in Isola ausgetauschtes Lächeln unmittelbar auf das Plätschern eines Baches antworten, das man vielleicht schon eine Woche zuvor gehört hatte, oder auf eine ganze Stunde, die man vor einem Monat damit verbracht hatte, ins Tal zu starren. Es war möglich, dass der Schatten der vorbeiziehenden Wolken am Morgen auf den Feldern und ein Geruch miteinander in Dialog traten, ein Schweigen konnte Wut hervorrufen, auch wenn seitdem mehrere Tage vergangen waren. Dieses Geheimnis, das verborgene Netz war ein kleiner Teil ihres Widerstandes, denn sie waren die einzigen, die dessen Verknüpfungen kannten. Niemand erfuhr, dass ein Trupp, der eines Tages ins Dachgeschoss des Klosters gestiegen war, um dort einen Fensterrahmen zu reparieren, von dem durch jenes Fenster einfallenden Lichtrechteck geblendet worden war. Und dass dadurch bei einem von ihnen die Erinnerung an ein flüchtiges, entwaffnendes Gefühl geweckt worden war, das ihn vor einiger Zeit überkommen hatte, als er meinte, hinter sich die Stimme eines alten Freundes aus Kindertagen erkannt zu haben. Der Eindruck hatte sich rasch als falsch herausgestellt, es war nur ein alter Abruzzenbewohner, der Selbstgespräche führte, aber die wenigen Sekunden, bevor die Gewissheit sich eingestellt hatte, hatten sich eingraviert, und das gleißende Licht in der Dunkelheit hatte dieses Gefühl wiedererweckt. Als er diese Übereinstimmung erlebte, war sie ihm ebenso rein wie schwer begreiflich vorgekommen. Aber er hatte in den Randbereichen seines Daseins mit sich selbst gesprochen. Diese quälenden, verwirrenden Momente waren ihr gemeinsames Los, auch wenn ihnen das gar nicht richtig bewusst war. Und obwohl man es nicht vermuten würde, waren es unter anderem diese Verzerrungen, die ihnen halfen, nicht umzufallen.
     
    Die Behörden, die Priester, die eingesperrten Chinesen selbst, alle wussten, dass jede ihrer Aktivitäten entbehrlich war, aber für ein wenig öffentliche Ruhe sorgte. Sie waren Gefangene ohne Ketten, ihr Leben eine Inszenierung, sie spielten Rollen auf einer Bühne. Und obwohl jeder ihrer Schritte, jedes mit einem Bewohner gewechselte Wort, jeder Atemzug diese vorgetäuschte Banalität kühl verriet, hatten sie sich dazu hinreißen lassen, daran zu glauben. Vielleicht konnten die Zeiten sie, in dem absurden Räderwerk, in dem sie steckten, nicht ganz so systematisch erschüttern, wenn sie dieses Theater akzeptierten, vielleicht konnte die Luft, die sie atmeten, dann etwas anderes sein als gesplittertes Glas, und vielleicht könnten die Sekunden dann eine andere Wirkung auf sie haben, als sie innerlich ausbluten zu lassen? Vielleicht könnten diese Sekunden eines Tages etwas anderes sein als Schreie oder Salven? Vielleicht war die Übernahme einer Charakterrolle in dieser Vereisung von Raum und Zeit, wenn es darum ging, diesem ganzen Nebel zu entkommen, alles in allem ein vernünftiger Preis, den es zu zahlen galt. Ihre Fronarbeit gehörte zu dieser Rolle. Also begaben sich einige von ihnen in größeren oder kleineren Gruppen auf die Felder oder zum Bau eines Hauses, wieder andere räumten Schutt fort, während die meisten von ihnen auf dem Mäuerchen in der Nähe des Schlafsaals sitzen blieben und auf das Verschlungenwerden der Tage und die dumpfen Schrecken der nächtlichen Träume warteten. Für einen Chronisten dieser Zeit hätte es keine explizite Gewalt zu beschreiben gegeben, keinen ausgeübten Zwang, keine Kränkungen durch Soldaten. Auf einer Bank sitzend hätte er bloß kleine Grüppchen von Männern gesehen, die folgsam zu unnützen Zielen aufbrachen, es sei denn, er hätte doch die schallende Ohrfeige registriert, die unfassbare Qual, die für sie in der Selbstverständlichkeit lag, mit der sie alle diesen kalten Wahn akzeptieren mussten. Diese verborgene Demütigung, die aber ihre Beziehung zu Italien darstellte, dem Land im Kriegszustand, und somit das, was von ihrer Menschlichkeit noch übrig war.
     
    Hitze der späten Juni-Nachmittage. Die ausgetrocknete Erde sehnte sich nach Gewittern, der Stand der Sonne näherte sich den Gipfeln des Sasso, und ein Dutzend Chinesen, die einen Namen hatten, jäteten Unkraut. Sie befreiten die Ränder des zur Herberge San

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