116 - Der Mitternachtsteufel
leicht auf Wassiliews Hypnose an.
Er bewegte den Spiegel dicht vor ihren Augen. Die Pupille veränderte sich nicht. Die Trance war tief.
„Ich frage dich wieder", sagte der Parapsychologe, „wer bist du?"
„Stenka", sagte das Mädchen.
Ihre Stimme klang jetzt ganz anders, dumpf und grollend.
Die Parapsychologen am Tisch sahen sich an und murmelten wieder.
Dr. Wassiliew nickte.
„Jetzt ist es endlich soweit", sagte er. „Wir haben eine direkte Verbindung mit ihrem Alter ego. Wir wollen sehen, was wir dabei erfahren können." Er wandte sich wieder an das Mädchen. „Was bist du, Stenka?"
„Ein Dämon."
„Woher kommst du? Wie siehst du aus?"
Ein Knurren war zu hören. Man konnte kaum glauben, daß ein zartes Mädchen ein solch bestialisches Geräusch von sich gab.
„Ich komme aus einer anderen Welt", fauchte der Dämon. „Aus dem Jenseits. Von Nirgendwo. Bin ich dir Rechenschaft schuldig, du Narr?"
Die Aggressivität in der unheimlichen Stimme erschreckte die Parapsychologen - bis auf Dr. Wassiliew. Er blieb völlig gleichgültig.
„Du hast mir zu antworten, Stenka. Dämon Stenka. Also - wie siehst du aus?"
Fauchen, Knurren, Grollen. Als sei ein ganzer Käfig von entfesselten Raubtieren im Zimmer - so klang es. Dann kam die Antwort, kaum verständlich.
„Ich bin groß und stark wie ein Riese. Meine Ohren sind spitz, mein Gesicht spiegelt meine dämonische Wildheit wider und ist ganz anders als eure blassen Visagen. Meine Hände sind Klauen, und hornige Spitzen sitzen an meinen Gelenken. Schwarz ist mein Körper und behaart, die Haut rauh. Meine Füße sind Hufe."
Der Dämon fauchte und grollte so schrecklich, daß nichts anderes mehr zu verstehen war. Er brüllte, daß die Fensterscheiben bebten.
Es klopfte an der Tür.
„Ist alles in Ordnung, Genossen?" fragten die beiden Milizsoldaten auf dem Flur, als der Dämon verstummt war.
„Jawohl!" rief Wassiliew. „Stört uns nicht! Schweigt! Kein Wort mehr, ihr Tölpel!"
Die Parapsychologen betrachteten das Mädchen Nelja. Nichts an ihrem schlanken Körper hatte sich verändert; und doch hatte sie sich auf so gräßliche Weise beschrieben und solche Geräusche von sich gegeben.
Nelja saß wieder still und unbeteiligt da.
Die Parapsychologen redeten erregt durcheinander.
Dr. Wassiliew betrachtete sie verächtlich. Er hörte sich die Debatte eine Weile an, die in seinen Augen völlig sinnlos war. Die zwölf Wissenschaftler vertraten dreizehn verschiedene Meinungen. Sie wären sich auch nicht einig geworden, wenn sie noch den Rest des Tages und die Nacht geredet hätten.
„Genossen", sagte Dr. Wassiliew. Und noch einmal lauter: „Genossen!"
Endlich wandten sie sich ihm zu.
„Ich schlage vor, ich versuche, Neljas Alter ego abzuspalten. In früheren Zeiten vor der glorreichen Oktoberrevolution hätte man gesagt, ich versuche, ihr den Dämon auszutreiben. Dazu wird eine verstärkte Hypnose nötig sein."
Ein kahlköpfiger Wissenschaftler sprang auf.
„Ich protestiere!" rief er und fuchtelte erregt herum. „Die Art, wie Sie sich hier aufspielen und der Kommission Ihren Willen aufzwingen, ist unerträglich."
„Wissen Sie vielleicht etwas Besseres, Professor Schubjakin?" fragte Wassiliew mit unüberhörbarer Ironie. „Dann sagen Sie es nur! Sie können das Experiment auch gern an meiner Stelle weiterführen."
Schubjakin wollte sich nicht blamieren und verstummte. Nach ein paar Zwischenrufen und akademischen Erörterungen war Wassiliews Vorschlag angenommen.
Wieder ließ er den blitzenden Spiegel vor Neljas Augen rotieren und starrte sie an. Schweißtropfen perlten über Dr. Wassiliews breites Tartartengesicht, rannen ihm in den Kragen. Er konzentrierte sich, bot seine ganze Willenskraft auf.
Minuten des Schweigens vergingen. Nur ein- oder zweimal war Füßescharren zu hören.
„Es ist soweit!" sagte Dr. Wassiliew schließlich. „Stenka, ich befehle dir, zeige dich uns! Verlaß den Körper und den Geist dieses Mädchens! Stenka, komm! Stenka!"
Die Stimme Dr. Wassiliews war wie eine Peitsche.
Ein Röhren und Brüllen war zu hören. Nelja bäumte sich auf und schrie, aber ihr Schrei ging in den anderen Geräuschen unter. Und plötzlich stand der Dämon im Saal. Er war riesengroß, wie er gesagt hatte; über zwei Meter; und das wutverzerrte Gesicht erinnerte an einen Urmenschen oder einen Affen; er hatte spitze Ohren und hornige Auswüchse an den Schultern, Ellbogen und Handgelenken. Das Ungeheuer raste auf die vor Angst
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