1161 - Der Keim des Bösen
er, aber er musste auch zugeben, dass beides anders war als bei einem normalen Menschen. Nicht rosig oder rot, sondern viel dunkler. Beinahe schon schwarz. Da erinnerte ihn der Mund an eine Höhle, in der sich zudem diese Schwärze noch bewegte.
Was war das?
Lukretia ließ ihm keine Zeit, sich Gedanken zu machen. »Gib Acht!«, flüsterte sie ihm zu.
Noch weiter öffnete sie den Mund!
Phil dachte noch immer an einen Kuss, doch er irrte sich. Ihrer beiden Lippen berührten sich nicht.
Stattdessen spürte er die Kälte, die aus dem Mund der Frau strömte und die von einem sichtbaren, schwarzen Atem begleitet war.
Er konnte sich das nicht anders erklären, denn aus ihrem Mund drang eine dunkle Fahne. Sie sah wie Ruß aus oder schwarze Schneeflocken, die auf einer bestimmten Bahn blieben.
Ohne dass es Phil richtig bewusst geworden war, hatte auch er seinen Mund geöffnet, und so kam es, wie es kommen musste. Er trank den Atem der anderen. Er saugte ihn tief in sich ein. Der dunkle Strom lief von Mund zu Mund.
Er hörte auch ihre Stimme, obwohl ihr Mund weit offen stand und sie ihn beim Sprechen nicht bewegte. Die Worte bildeten sich tief in ihrem Hals, und sie waren für ihn nicht zu verstehen. Sie erinnerten ihn an gutturale Laute, die zu einer ihm völlig fremden Sprache gehörte.
Ihr Atem füllte seinen Mund!
Etwas kreiste über seine Zunge hinweg und ließ sich auf dem Weg zur Kehle nicht aufhalten. Er konnte nicht anders, er musste schlucken und merkte, dass etwas Kaltes in seinen Körper hineinglitt.
Harper hielt die Augen geöffnet. Lukretia saß vor ihm auf der Bettkante. Zwischen ihren Mündern tanzte ihr Atem. Dunkle Flocken und zugleich ein Strom.
Etwas geschah mit ihm. Er war noch da, doch er fühlte, wie er allmählich wegschwamm. Etwas hatte ihn übernommen. Er konnte nicht erklären, was es war, aber die andere Kraft war so mächtig, dass sie sein Bewusstsein wegzuspülen begann.
Er blieb noch in seinem Bett sitzen. Er befand sich im gleichen miesen Zimmer mit der kärglichen Möblierung, aber es war jetzt alles anders geworden.
Die andere Welt schluckte ihn. Er merkte, dass er übernommen wurde. In seinem Körper breitete sich Lukretias Atem oder was immer es auch sein mochte, aus.
Noch einmal hörte er sie sprechen. Er verstand alles und begriff nicht, was damit gemeint war.
»Jetzt gehörst du mir…«
Danach fiel Phil Harper in ein tiefes Loch!
***
Es war noch dunkel, als der Mann wieder erwachte. Er kam sich dabei vor, als hätte er in einem langen tiefen Tunnel gesessen, aus dem er nur mit großer Mühe herausgekrochen war.
Ein normales Erwachen war es zumindest nicht. Dieses hier war schwerfällig. Wie bei einem Menschen, der sich zunächst aus einem tiefen Traum befreien will.
Harper hörte sich stöhnen. Der Stimme nach konnte es auch ein anderer gewesen sein. Alles fiel ihm schwer. Jede Bewegung, und auch das Stöhnen bereitete ihm Probleme.
Dann holte er Luft. Im Hals kratzte es. Im Mund spürte er den anderen Geschmack. Einen schrecklichen, als hätte er sich vor dem Schlafengehen kalte Asche in den Mund gestopft.
Außerdem stellte er fest, dass er fror. Auf dem Rücken und auch auf dem Vorderkörper lag eine kalte Schicht. Zudem war er von kaltem Schweiß bedeckt. Als er den Kopf drehte und einen Blick nach rechts warf, da sah er die neben seinem Bett stehende Flasche Whisky.
Genau der Anblick brachte ihn wieder hinein in die Normalität. Auch die Erinnerung kehrte zurück.
Die Flasche Whisky verschwand sehr bald, denn ein anderes Bild übernahm diesen Platz.
Das Bild einer silberblonden Frau!
Alles strömte auf ihn nieder. Es lief wieder so ab, wie er es erlebt hatte, von der ersten Begegnung bis zu ihrer Ankunft hier in seinem Motelzimmer.
Er hatte sich das vorgestellt, womit wohl alle Männer in seiner Lage gerechnet hätten. Nur war es dazu nicht gekommen. Etwas anderes war mit ihm passiert.
Ein sehr seltsamer und auch unerklärlicher Vorgang. Zugleich mehr als ungewöhnlich, denn einen Reim konnte sich der Vertreter darauf nicht machen.
Er sah ihr Gesicht. Er sah den offenen Mund - und er sah den dunklen Strom daraus hervorfließen.
Noch im Nachhinein überfiel ihn ein Schauer. Harper hatte keine Erklärung. Wo andere ihren Atem ausgestoßen hätten, war bei ihr ein dunkler Flockenstrom aus dem Mund gedrungen und hatte ihn erwischt. Ohne es richtig zu wollen, hatte er den Strom in sich aufgesaugt. Und dann?
Ja, und dann war er weggetreten. Eingeschlafen,
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