1163 - Der Blut-Galan
Cash Milton schaute sich um, das heißt, Cash schielte nur, weil er zugleich den Junkie unter Kontrolle halten wollte. Ansonsten blickte er etwas in die rechte Richtung, denn dort malte sich eine Tür ab, die zu den Toilettenräumen führte. Es war eine öffentliche Toilette. Im Nebengang einer unterirdischen U-Bahn-Station. Dreckig, verkommen, aber noch nicht abgerissen, obwohl die neuen Anlagen schon gebaut worden waren. Man hatte die alte Bedürfnisanstalt einfach vergessen, und so war sie zu einem dieser heimlichen Fixer-Treffpunkte geworden.
Milton wusste das. Ihm war der Junkie aufgefallen, als er die Tür aufgerissen hatte. Totenbleich und stolpernd war er in den schmutzigen Gang mit den Betonwänden gelaufen und wäre fast vor Miltons Füßen zusammengebrochen.
Der Junkie roch nach Toilette und Straße. Er war noch jung und irgendwie auch bedauernswert.
Davon gab es leider zu viele in London, und Cash Milton fühlte sich mehr wie ein Idealist als ein Polizeibeamter. Er wollte auch nicht an die Junkies heran, sondern an die verdammten Dealer, und das ging oft nur über diese Süchtigen.
Die gestreckten Arme des jungen Mannes sanken nach unten. Er stellte sich wieder normal hin und hörte sofort die Frage des Zivilfahnders. »Warum soll ich da nicht reingehen?«
»Da ist jemand.«
»Kann ich mir denken. Sonst wärst du ja nicht wie eine halb trudelnde Rakete dort hervorgestürmt.«
»Scheiße.« Der Junkie schüttelte den Kopf. Er atmete, und jeder Atemzug hörte sich an wie eine Qual. »Da hockt kein normaler Typ, Mann. Das ist alles schlimm.«
»Klar. Öffentliche Toiletten sind nie Theaterlogen. Besonders nicht auf alten Bahnhöfen.«
Der Junkie fuhr durch sein Gesicht.
Er drückte so tief mit den Fingern in die Haut, dass blasse Streifen zurückblieben. »Das ist hier was anderes, Bulle.«
»Was denn?«
»Das Geräusch!«, flüsterte der Süchtige. »Das verdammte Geräusch.« Er schielte zur Tür und schüttelte sich. »Wie ein Tier, Bulle, wie ein Tier. Aber ich weiß, dass es keines ist. Ich habe es soeben noch geschafft, zu verschwinden. Da hat sich jemand verkrochen oder ist eingesperrt. Aber die Laute, die machen mir Angst. Und du wirst dir auch in die Hose scheißen, wenn du das hörst.«
Milton blieb gelassen. »Wenn es kein Tier ist, dann kann es nur ein Mensch sein, oder?«
Für einen Moment starrte Milton in die dunklen Augen des Fahnders. »Das glaube ich nicht. So benimmt sich kein Mensch. Ich… ich… kann es nicht glauben.«
»Kannst du mir das nicht genauer erklären? Ich wäre dir wirklich sehr verbunden.«
Der Junkie bemühte sich. Er wirkte beinahe lächerlich, als er versuchte, die Geräusche nachzumachen. Aus seiner Kehle drangen die Laute, die an ein Schreien erinnerten und zugleich auch an ein Stöhnen. Irgendwie war es unmöglich, dass er sich für eine der beiden Seiten entschied, und deshalb zuckte er mit den Schultern und verstummte.
»Danke, das reicht«, sagte Milton.
»Gut.« Gequält und fragend schaute der Junkie dem Fahnder ins Gesicht. »Was willst du jetzt tun?«
»Das ist ganz einfach. Ich schaue mich mal um. Und wir reden später miteinander.«
Die Panik sprang den Süchtigen beinahe an. »Nein, nein, ich nicht. Ich werde nichts tun. Ich gehe da nicht rein, verstehst du? Auf keinen Fall tue ich das. Verstehst du?«
»Okay.« Cash wusste, dass es keinen Sinn hatte, wenn er den Junkie aufforderte, zu warten. Das brachte nichts. Der Typ würde so schnell wie möglich die Flucht ergreifen.
Milton kannte sich aus. Er arbeitete schon einige Jahre in diesem Job. Deshalb glaubte er längst nicht alles, was man ihm sagte. Er hatte sich schon die tollsten Ausreden anhören müssen. In diesem Fall war er ebenfalls misstrauisch. Es konnte durchaus sein, dass der Junkie versuchte, ihn abzulenken, und so tat Cash Milton das, was getan werden musste.
»Dann dreh dich mal um! Und die Hände gegen die Wand!«
»Warum? Ich…«
»Mach schon!«
Der Süchtige warf einen gequälten Blick gegen die Decke, bevor er sich langsam in Bewegung setzte und sich drehte. Er nahm auch die Position an, die sich Cash gewünscht hatte.
Milton tastete ihn nach Waffen ab, ohne allerdings welche zu finden. Eine kleine mit Marihuana gefüllte Blechdose fiel ihm in die Hände. Er leerte sie und steckte sie dem Typ wieder zurück in die Seitentasche. Einen Ausweis hatte er nicht gefunden. Es war nicht neu, denn die Junkies verscherbelten so gut wie alles, um an Geld für das
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