1166 - Der Erschrecker
Kreuzes hatte eine wahre Geisterwelt aus ihrem Schlaf erweckt…
***
Schreien, Jammern. Gellende Geräusche. Wahnsinnige Töne. Laute, die ein Mensch kaum ausstoßen konnte. Gekreische, das aus den Kehlen verrückter Elfen zu stammen schien.
Dazwischen klangen immer wieder die abgehackten Schreie dunkler männlicher Stimmen auf. Es hörte sich brutal an. Es war zu einer Folter für unsere Ohren geworden, und es erreichte uns nicht nur aus einer Richtung, sondern aus drei verschiedenen. Aus den Wänden, vom Boden hoch schlugen die Geräusche dieses unheimlichen Kreislaufs.
Hin und wieder waren einige genauer auszumachen. Da schien dann jemand besonders stark unter einer Folter zu leiden. Die nackte Angst war deutlich herauszuhören. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Stimme einer Frau oder einem Mann gehörte.
Die Schreie und Jammerlaute blieben auch nicht an einer Stelle. Sie bewegten sich. Es dauerte nicht lange, da hatten sie einen Kreis um uns geschlagen. Sie drehten sich im Unsichtbaren. Mein Kreuz kam mir dabei vor, als wäre es eine Achse oder ein Mittelpunkt für die Schreienden.
Auch das Rumoren war geblieben. Unter unseren Füßen hörten wir dumpfe Schläge, als wären irgendwelche Geister dabei, den Untergrund mit einem Hammer zu bearbeiten.
Manchmal hörten sich die Geräusche auch an wie ein fernes Gewittergrollen. Dann fingen die Wände an zu zittern, aber sie brachen durch den Angriff aus dem Unsichtbaren nicht ein.
Suko und ich standen im Zentrum. Wir schauten uns an. Wir sagten nichts. Ich merkte, wie das Kreuz in meiner Hand zu zittern begann, als hätte es von allen Seiten harte Stöße erhalten.
Es schwang hin und her. Erst langsam, dann stärker. Pendelbewegungen, vor und zurück, die ich nicht stoppte, denn ich beobachtete das Phänomen, das zwischen den beiden Bewegungen erschien.
Da bildete sich ein heller Streifen, der in der Luft stand wie eine Sichel und verschwand, wenn die Pendelbewegung aufhörte.
Suko hielt es nicht mehr an seinem Platz. Mit langsamen Schritten ging er in der Hütte hin und her. Wie jemand, der als Mensch durch eine Geisterwelt schritt. Er setzte seine Schritte tastend und vorsichtig. Er schaute immer zuerst auf den Boden vor sich, bevor er ihn betrat.
Nichts war zu sehen. Das Geisterreich hielt eine bestimmte Tür geschlossen. Nur die andere stand weit offen. Sie entließ die Schreie, das Jammern und all die schrecklichen Begleitgeräusche der Angst. Allmählich gelangte ich zu der Überzeugung, dass sich, versteckt in einer anderen Dimension, etwas Grauenvolles aufhielt, dessen Zugang wir nur spaltbreit geöffnet hatten.
Es wurde immer mehr an Normalität aus diesen vier Wänden herausgezogen. Der Geruch und auch die etwas schwüle und feuchte Wärme, die wir beim Eintreten verspürt hatten, verschwanden, als hätte jemand sie weggezogen.
Das Kreuz pendelte noch immer. Und das Licht blieb wie eine Brücke. Vom Aussehen her mit einer schwach leuchtenden Glasscherbe zu vergleichen, die bei jedem Schwung immer wieder aufs Neue entstand.
Zwei Augenpaare bewegten sich, um nach irgendwelchen Hinweisen zu suchen. Wir wollten einfach nicht wahrhaben, dass sich die Gestalten aus dem Unsichtbaren nicht zeigten. Hier stand eine Macht gegen sie, die es durchaus schaffen konnte, die verschlossenen Tore zu öffnen. Leider blieben sie geschlossen.
Vielleicht hatten wir zwei oder auch vier Minuten in dieser Hütte gestanden, verändert jedenfalls hatte sich nichts. Das ärgerte uns beide. Als Suko mit einer scharfen Kopfbewegung in Richtung Tür deutete, war ich damit einverstanden, diesen Bereich zu verlassen.
Ich ließ meinen Freund vorgehen, der trotz seiner Sehfähigkeit aussah wie jemand, der sich vortasten musste, denn so langsam bewegte er sich auf den Ausgang zu.
Noch ein Schritt, dann war er verschwunden.
Mein Kreuz pendelte noch immer. Ich beobachtete die Ausschläge auch weiter, als ich mich zurückzog. Die jammernden Stimmen und das Schreien begleiteten mich auf den Weg nach draußen. Und ich merkte, dass ich dabei war, die unheimliche Stelle zu verlassen, denn die Pendelbewegungen erlahmten. Auch der silbrige helle Streifen markierte nicht mehr ihre Bahn. Als ich die Hütte verlassen hatte und mich die Dämmerung umgab, da waren die heftigen Schreie und das Stöhnen auch nicht mehr zu hören. Nur das Kreuz hatte seine Wärme behalten, ansonsten umgab mich wieder die normale Welt.
Suko nickte mir zu. »Also doch«, sagte er. »Lenas Zeichnung hat
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