1166 - Der Erschrecker
Hände nicht frei. Er musste sich um das Kind kümmern, und auch der Vampir wollte es haben, als ihn ein gellender Schrei zurückhielt.
»Nein, du nicht!«
***
Geschrieen hatte Cathy Brixon, Christinas Großmutter. Und sie hatte selbst mich damit überrascht, wobei dies schon die zweite überraschende Aktion gewesen war, denn mit der ersten war es ihr gelungen, mir die Waffe aus der Hand zu reißen, direkt nachdem die fünf Sekunden vorbei gewesen waren.
Trotz ihrer fast 70 Jahre bewegte sich Cathy so schnell vor, dass ich sie nicht mehr zu fassen bekam. Als ich mich dann in Bewegung setzte, um Cathy einzuholen, da hatte sie den rechten Arm mit der Beretta bereits angehoben.
Sie schoss.
Nicht nur einmal - nein, sie ging vor und drückte immer und immer wieder ab.
Der Vampir war groß, sogar übergroß. Auch wenn jemand mit einer Waffe nicht vertraut war, konnte er kaum ein derartiges Ziel verfehlen. So war es denn auch.
Die geweihten Geschosse hämmerten in den Körper hinein. Es waren mindestens drei, die ihn so wuchtig erwischten, dass er schwankte und dann zusammenbrach.
Er fiel zwar auf den Boden, kippte aber nicht um, sondern blieb breitbeinig knien. Sie wollte wieder schießen, aber da drehte ich Cathy die Waffe aus der Hand.
»Nein, es reicht!«
»Das Schwein soll krepieren!«
»Er wird es nicht mehr schaffen. Glaub es mir!«
»Ich will es sehen!«
»Das kannst du auch!«
Cathy und ich kümmerten uns um den Blutsauger. Suko stand ein paar Meter entfernt. Er hielt Christina auf seinen Armen und streichelte durch das hellblonde Haar.
Der Blutsauger schwankte. Er sah jetzt aus wie eine übergroße Puppe aus einem monströsen Kasperle-Theater. Sein Maul stand weit offen. Daraus rutschte eine sämige, dicke Flüssigkeit hervor, die dicht vor seinem Körper auf den Boden klatschte.
Es war zu sehen, wie die Schwäche in ihn hineindrang. Seine Bewegungen wirkten unkontrolliert. Er schlug mit seinen Krallen um sich, als wollte er irgendwelche Mücken fangen. Die Haut in seinem Gesicht war zu einer trockenen Masse geworden, die allmählich abbröckelte. Die Schwingen schrumpften zusammen. Dabei lösten sie sich auf, und erster Staub rieselte zu Boden.
Der Kopf kippte nach vorn. Nichts war mehr da, was ihn noch hielt. So prallte er auf den Boden und zerbrach wie eine Walnuss, auf die jemand seinen Fuß gesetzt hatte.
Cathy musste es einfach tun.
Sie trat gegen seinen Körper.
Das dabei entstehende Knirschen war die Musik, die das Brechen der alten Vampirknochen begleiteten. Die Reste kippten nach hinten. Es war nicht mehr als ein Haufen Staub und noch die krallenartigen Hände zurückgeblieben, die in letzten Zuckungen wie krumme Hühnerklauen durch den Staub kratzten.
Cathy drehte sich zu mir um. Sie sah erleichtert aus. Sie konnte auch lächeln. »Das Leben ist gerecht, John. Und für das Leben und das Schicksal spielt die Zeit keine Rolle. Das solltest du dir als jüngerer Mensch auch merken.«
»Klar.«
Dann kam sie auf mich zu. Sehr nahe blieb sie vor mir stehen. »Eines wollte ich dir noch sagen.«
»Gern. Ich höre.«
»Damals, für mich war es damals, als wir uns sahen, da… da… ja, da habe ich mich tatsächlich ein wenig in dich verliebt. Kannst du dir das vorstellen?«
Ich war verlegen und wusste nicht, was ich erwidern sollte. Dafür küsste mich Cathy auf die Wangen. »Nimm es einfach hin, großer Junge. Gewissermaßen als Erinnerung an eine alte Frau, die auch mal jung gewesen ist.«
»Ja, Cathy, das werde ich…«
ENDE
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